Essen. Über 19.3000 Ukraine-Kinder sollen an deutschen Schule integriert werden. Die meisten davon in NRW. Deutscher Lehrerverband sieht die Lage eng.
Etliche Schulen und Lehrkräfte meistern in Deutschland seit Beginn der russischen Kriegsangriffe eine große Zusatzaufgabe: Mehr als 193.000 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche sollen integriert werden. Die meisten Schülerinnen und Schüler wurden in Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Die Schulen zählen hierzulande 36.558 ukrainische Flüchtlingskinder, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg mit 29.014 bzw. 26.573 Kindern.
Seit dem Beginn des Krieges im Februar sind die Zahlen stetig angestiegen und haben nach den Sommerferien wegen neuer Anmeldungen noch einmal einen deutlichen Sprung nach oben gemacht. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa elf Millionen Schülerinnen und Schüler. Was nach außen bisher relativ geräuschlos zu funktionieren scheint, stellt die Einrichtungen und Lehrkräfte vor große Herausforderungen, wie Bildungsgewerkschaften und Lehrerverbände der Deutschen Presse-Agentur bestätigten. Ihrer Ansicht nach verschärfen sich die durch den Lehrermangel bereits bestehenden Probleme.
Über 2000 ukrainische Kinder mussten in NRW auf einen Schulplatz warten
In NRW hatten drei Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres Ende August 2022 fast 2160 neu zugewanderte Ukrainer noch auf einen Schulplatz gewartet. Die Landesregierung will zusätzliche Millionensummen für weitere Lehrerstellen bereitstellen, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) vor zwei Wochen angekündigt hatte.
Gemäß Ratsbeschlüssen der EU erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge in allen Mitgliedsstaaten einen Aufenthaltstitel für ein Jahr, der um weitere zwei Jahre verlängert werden kann. Die Flüchtlinge müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind demnach schulpflichtig, sobald sie in NRW dauerhaft einen Wohnsitz haben.
„Raumknappheit, Lehrkräftemangel und fehlende Unterstützung“
Viele Klagen sind zwar bisher nicht über die Aufnahme einer so großen Zahl neuer Schüler innerhalb so kurzer Zeit zu hören. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der nach eigenen Angaben als Gewerkschaft die Interessen von mehr als 160.000 Pädagogen vertritt, spricht aber auf Nachfrage von „kaum noch zu lösenden Herausforderungen“ an den Schulen.
„Raumknappheit, Lehrkräftemangel und fehlende Unterstützung durch andere Professionen, beispielsweise bei der Bearbeitung von Traumata, führen dazu, dass eine erfolgreiche Integration trotz höchstem Engagement der Lehrkräfte kaum leistbar ist“, sagte der Vorsitzende Udo Beckmann der Deutschen Presse-Agentur. Teils finde zum Beispiel seit Wochen und Monaten nahezu keine Kommunikation zwischen geflüchteten Schülern und Lehrkräften statt, weil Dolmetscher und Ehrenamtliche fehlten.
Deutscher Lehrerverband spricht von „Notlage“ an Schulen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies ebenfalls auf Probleme hin: Für die vielen an Schulen und Kitas angemeldeten ukrainischen Kinder und Jugendlichen fehlten pädagogische Fachkräfte und geeignete Räume, sagte die Vorsitzende Maike Finnern der dpa. „Aktuell warten schulpflichtige Kinder deshalb häufig monatelang auf einen Platz in der Schule oder sie erhalten nur ein eingeschränktes Bildungsangebot. Das erschwert die Integration der geflüchteten Kinder und Jugendlichen massiv.“
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Vom Deutschen Lehrerverband hieß es, die Aufnahme der ukrainischen Kinder und Jugendlichen verschärfe den Lehrkräftemangel und führe indirekt zu Stundenkürzungen und Streichung von Zusatzangeboten für alle Schülerinnen und Schüler. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, „sondern das ist die reale Lage“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger. „Die Politik sollte so ehrlich sein, diese Notlage nicht schönzureden.“ Meidinger zufolge bräuchte es für 200.000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler 12.000 bis 14.000 zusätzliche Lehrkräfte. Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die an deutschen Schulen arbeiten oder aushelfen, deckten nur einen Bruchteil des Bedarfs ab. Eine Umfrage in den Bundesländern hatte im September ergeben, dass in Deutschland bisher etwa 2700 Lehr- und Hilfskräfte aus der Ukraine beschäftigt sind. (dpa/mkx)