Düsseldorf. In einem halben Jahr mehr als 110.000 Austritte. FDP kritisiert die langen Wartezeiten in den Gerichten für Menschen, die eine Kirche verlassen wollen.

In NRW zeichnet sich ein neuer Rekord bei den Kirchenaustritten ab: Laut NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) traten allein in der ersten Jahreshälfte 2022 insgesamt 111.234 Bürgerinnen und Bürger aus einer Kirche aus. Im gesamten Jahr 2021 wurde von den Justizbehörden der bisherige Rekord von 155.322 Austritten gezählt.

Das NRW-Justizministerium nennt in seiner Antwort auf eine Anfrage der FDP-Landtagsabgeordneten Angela Freimuth und Dirk Wedel zu den Kirchenaustritten Zahlen, aus denen hervorgeht, wie dramatisch die Mitgliederentwicklung in den Kirchen in NRW ist. Im Jahr 2012 registrierten die Amts- und Landgerichte noch rund 53.000 Austritte. Diese Zahl könnte sich bis zum Ende des laufenden Jahres vervierfachen.

Schwierige Suche nach den Gründen

„Wir beobachten die Entwicklung mit großer Sorge“, sagte ein Sprecher des Bistums Essen dieser Redaktion. Eine schlüssige Erklärung gebe es nicht. Mann könne vermuten, dass das in der Folge von Missbrauchsfällen verloren gegangene Vertrauen in Kirchen eine Rolle dabei spiele. Möglicherweise sei in vielen Fällen auch der wirtschaftliche Druck ausschlaggebend, dem viele Familien gerade in diesem Jahr durch die Inflation ausgesetzt seien.

Warum Menschen die Kirchen verlassen, ist schwer zu ergründen. Denn das Gericht fragt nicht danach, warum jemand austritt. Und das Gesprächsangebot, das die Kirchen danach den Ex-Mitgliedern machen, werde in den meisten Fällen nicht angenommen, so das Bistum.

Wartezeit bis zu drei Monate

Aus der Antwort der Landesregierung geht auch hervor, dass es oftmals lange dauert, bis jemand die Gelegenheit zum Kirchenaustritt bekommt: „Bei kleineren Amtsgerichten beträgt die Wartezeit zwischen einem Tag und wenigen Wochen, wobei teilweise auch ohne Terminvergabe Kirchenaustrittserklärungen entgegengenommen werden“, heißt es. In „mittelgroßen“ Amtsgerichten dauere es einen bis zwei Monate bis zu einem Termin, vereinzelt gebe es sogar Wartezeiten von mehr als drei Monaten.

Angela Freimuth, Sprecherin für Digitalisierung in der FDP-Landtagsfraktion nannte die langen Wartezeiten auf einen Termin ein Ärgernis und forderte den Abbau von Barrieren: „Hier kann, wie im Onlinezugangsgesetz vorgesehen, eine digitale Erklärung ein Baustein für eine bürgerfreundliche Verwaltung sein. Auch wenn dies sicher nur ein kleiner Beitrag zur Digitalisierung ist.“

Reformbewegung "Wir sind Kirche" mahnt Veränderungen an

Kurz vor Beginn der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda hat die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ eine Nachfolgeregelung für den Missbrauchsbeauftragten Stephan Ackermann angemahnt. Der Trierer Bischof hatte im Mai seinen Rücktritt als Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz bekanntgegeben.

Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ appellierte am Montag an die Bischöfe, sich geschlossen für Reformen stark zu machen. Sie trügen Verantwortung für das Weiterbestehen des Christentums in Deutschland. Im vergangenen Jahr hatten in Deutschland 359 338 Katholiken ihrer Kirche den Rücken gekehrt, so viele wie noch nie. (mit dpa)