Essen. „Es ist die letzte Chance für die Kirche“, sagt der Theologe Matthias Sellmann. Bei der Synodalversammlung suchen Katholiken Wege der Erneuerung.
Der Vatikan hat bereits klargestellt: Die Deutschen sind nicht berechtigt, die Leitungsstruktur der Kirche oder gar die katholische Lehre zu verändern. Damit erteilte Rom den Bemühungen des deutschen „Synodalen Wegs“, der Reformdebatte zwischen Klerikern und Laien, eine brüske Absage. Dennoch blicken viele Katholiken mit großen Erwartungen auf die vierte Synodalversammlung, die von Donnerstag bis Samstag in Frankfurt nach den zahlreichen Skandalen und Missbrauchsfällen über zentrale Reformen der Kirche berät.
Die Versammlung ist das zentrale Gremium des katholischen Erneuerungsprozesses „Der Synodale Weg“ und steht dieses Mal unter besonderem Druck aus Rom. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehemaliger Präfekt der römischen Glaubenskongregation, hatte im Vorfeld betont, die Kirche sei von Jesus Christus eingesetzt und entworfen worden. „Wir haben nicht das Recht, die Ordnung zu verändern.“
Auseinandersetzung mit „harten Bandagen“
Johannes Norpoth aus Gelsenkirchen sieht in solchen Äußerungen Zwischenrufe „von traditionalistischen Heckenschützen und erzkonservativen Meinungsmachern“. Norpoth ist als Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz ständiger Gast der Synodalversammlung und auch diesmal in Frankfurt dabei. „Es wird derzeit mit harten Bandagen gekämpft“, stellt Norpoth fest. Doch dem traditionellen Flügel fehlten die Argumente gegen den Reformwillen der Basis.
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„Es ist die letzte Chance für die Kirche“, sagt der Theologe Matthias Sellmann. Er sieht in der Synodalversammlung in Frankfurt nicht weniger als ein kirchengeschichtliches Ereignis. „Ich möchte das aber auch positiv sehen. Es ist zugleich eine riesige Chance, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und eine gut funktionierende, inspirierende Kirche zu gestalten“, so Sellmann, der ein stimmberechtigtes Mitglied der Synodalversammlung ist. Diese Chance könne genutzt – oder eben auch historisch verpasst werden, meint der Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Uni Bochum.
Sexualmoral, Zölibat und Stellung der Frauen
Diese vierte Versammlung des 2019 gegründeten Gremiums, in dem die deutschen Bischöfe, Vertreter des Klerus und der Verbände sowie Laien vertreten sind, will die Weichen stellen für grundlegende Reformen der katholischen Kirche. Dabei geht es um die kirchliche Sexualmoral, die nach Meinung viele Katholiken am Leben der Menschen vorbeigeht. Es geht ferner um das Zwangszölibat für Priester, um den Umgang mit Macht, um die Stellung der Frauen in der Kirche sowie um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs.
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Konflikte mit der Amtskirche sind unausweichlich. Die Frage ist: Wie verhalten sich die Bischöfe? Sie können mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit sämtliche Texte und Vorlagen abschmettern. „In Frankfurt kommt es zum Schwur“, sagt Norpoth. „Die Bischöfe wissen, was auf dem Spiel steht. Bei der Versammlung entscheidet sich die Reformfähigkeit und Reformwilligkeit der deutschen Bischöfe.“ Sellmann sieht das ähnlich: „Nur wenn die Texte und Anträge, über die wir bei der Vorbereitung der Versammlung seit vielen Wochen ernsthaft diskutiert haben, eine Mehrheit finden, können die Gläubigen neues Vertrauen fassen.“
Macht und Missbrauch
Der „Synodale Weg“ will der katholischen Kirche eine Richtung zu Umkehr und Erneuerung weisen. Er ist entstanden als Reaktion auf die Missbrauchsskandale und Folge der Erkenntnis, dass Macht und Missbrauch in der Kirche System haben und nicht als Taten von kriminellen Einzeltätern zu sehen sind. Dies haben nach Ansicht von Kirchenkennern zahlreiche Studien herausgearbeitet. Norpoth, der selbst als Junge von einem Priester missbraucht wurde, sagt: „Die katholische Kirche ist das einzige absolutistische Machtsystem auf dem Globus und ermöglicht in dieser Verfassung sexuelle Gewalt und Missbrauch.“
Es gehe dem Synodalen Weg dabei nicht um eine Spaltung. „Wir wollen keine neue Kirche“, stellt Norpoth klar. „Wir wollen die Kirche verändern und sie wieder zu einem sicheren Ort machen für Frauen, Männer und Kinder und für alle Menschen, die guten Willens sind.“ Den Widerstand aus Rom bedauert er, denn der im Kampf um Machterhalt erstarrten Kirche bleibe nicht mehr viel Zeit, viele Menschen hätten das Vertrauen verloren. „Die Leute laufen ihnen weg. Jetzt verlassen auch diejenigen enttäuscht die Kirche, die seit Jahren das Gemeindeleben geprägt und sich für die Kirche engagiert haben“, sagt Norpoth.
Wegscheide für die Kirche
Den Vorwurf, der Synodale Weg folge lediglich einer gesellschaftlichen Mode und wende sein religiöses Fähnchen nach dem Wind des Zeitgeistes, weist Norpoth entschieden zurück. Damit weiß er den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hinter sich. Was in Deutschland derzeit versucht werde, sei keine „billige Zeitgeistigkeit, die immer wieder diffamierend unterstellt“ werde, sagte der Limburger Bischof am vergangenen Sonntag laut Redetext in einer Predigt in Essen. „Es ist der beständige Weg der Kirche seit ihren Anfängen.“
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Die deutschen Katholiken versuchten, dem „eklatanten Gesichtsverlust“ der Kirche etwas Positives entgegenzusetzen. Sellmann beklagt, dass der Vatikan überhaupt nicht wisse, worüber in Deutschland so heftig gerungen wird. „Rom hat die pastorale Not in Deutschland noch gar nicht verstanden.“
So wird die Synodalversammlung aus Sicht der Teilnehmer zu einer Wegscheide für die katholische Kirche, an der sich entscheiden kann, ob sie zu einer sektenartigen Randerscheinung rückwärtsgewandter Katholiken schrumpft, oder ob sie die Kraft findet, sich aus sich selbst heraus zu erneuern und wieder zu einer Heimat für die Menschen zu werden. Norpoth: „Das wird in Frankfurt die spannende Frage sein.“
>>>> Der Synodale Weg
Der Synodale Weg ist ein Forum, das als Reaktion auf die Veröffentlichung der Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche (MHG-Studie) entstanden ist. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Zusammenschluss der Laien, das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, tragen die Verantwortung für den Gesprächsprozess.
Die Synodalversammlung ist das oberste Gremium des Synodalen Weges und fasst die Beschlüsse. Ihr gehören die deutschen Bischöfe, 69 Vertreter und Vertreterinnen des Zentralkomitees der Katholiken sowie Mitglieder geistlicher Dienste und kirchlicher Ämter sowie Einzelpersonen an. Insgesamt umfasst die Versammlung 230 Personen.