Essen. Forderungen nach günstigen Tarifen für Bus und Bahn nach dem 9-Euro-Tickets heizen die Debatte über die Finanzierung des ÖPNV neu an.
In der Debatte um deutlich günstigere Tarife für Busse und Bahnen nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets richtet sich der Blick zunehmend auf den steigenden Finanzbedarf im Nahverkehr. „Der ÖPNV ist schon bei den normalen Ticketpreisen immer ein defizitäres Geschäft. Das bedeutet: Ticket-Einnahmen reichen nicht aus, um Fahrzeuge, Personal und Infrastruktur kostendeckend zu finanzieren“, sagte Hubert Jung, Verkehrschef der Dortmunder Stadtwerke und Vizepräsident des Verbandes deutscher Verkehrsbetriebe (VDV), unserer Redaktion.
Frage der Finanzierung
Marcus Wittig, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Verkehrsgesellschaft DVG, betonte mit Blick auf die Ticket-Diskussion: „Wir befürworten und unterstützen grundsätzlich alle Maßnahmen, die mehr Menschen in Bus und Bahn bringen“. Wenn aber die Verkehrswende gesellschaftlicher Konsens sei, müsse auch die Frage der Finanzierung geklärt werden, so Wittig.
Millionenschwere Verkehrsverluste
Tatsächlich fahren Busse und Bahnen in Deutschland in der Regel alles andere als kostendeckend. Allein in Dortmund belaufen sich die sogenannten Verkehrsverluste der Stadtwerke in diesem Jahr auf 87 Millionen Euro. Die Bogestra fuhr in ihrem städteübergreifenden Netz in Bochum, Gelsenkirchen, Witten und Herne im Vorjahr ein Minus von 80 Millionen Euro ein.
Eigentlich müssten sich Ticketpreise verdoppeln
Duisburg kam 2021 auf ein Nahverkehrsdefizit von rund 60 Millionen Euro — bei Gesamtkosten von rund 140 Millionen Euro. Aus dem Ticketverkauf nahm die DVG nur 47,5 Millionen Euro ein. Um das Verkehrsdefizit durch die Erlöse am Schalter oder Fahrkartenautomat nur annähernd ausgleichen zu können, müssten sich die Ticketpreise bei gleicher Fahrgastzahl im Durchschnitt rein rechnerisch mehr als verdoppeln.
Die Finanzierungslücke im ÖPNV wird in der Regel durch die Kommunen direkt ausgeglichen oder — wie etwa in Duisburg und Dortmund — durch Gewinne ihrer Stadtwerke hauptsächlich aus dem Verkauf von Wasser, Gas und Strom.
Verkehrswende nicht in Gefahr bringen
„In den Zahlen sind die aktuell explodierenden Energiekosten sowie Aufwendungen für eine mögliche Angebotsausweitung, die bei dauerhaft niedrigen Ticketpreisen notwendig wäre, noch gar nicht mitgerechnet“, betonte VDV-Vizepräsident Jung. Wer über Verlängerungen oder Nachfolge-Aktionen für das 9-Euro-Ticket nachdenke, müsse also zwingend die Frage beantworten, wie diese auskömmlich finanziert werden, so Jung. Andernfalls würde man die Verkehrsunternehmen wirtschaftlich schädigen und so das Thema Verkehrswende in Gefahr bringen.
Das 9-Euro-Ticket wurde bundesweit bisher über 21 Millionen Mal verkauft. Es soll nach bisheriger Planung Ende August auslaufen. Allerdings gibt es verschiedene Vorschläge für eine Verlängerung. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte eine Anschlussregelung zuletzt jedoch ausgeschlossen.
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