Essen. Nach dem Ende des Streiks an den sechs Unikliniken in NRW pochen Krankenhausträger auf finanzielle Gleichbehandlung durch die Landesregierung.

Bis zuletzt war die Skepsis unter den Klinik-Beschäftigten groß, ob es tatsächlich zu einer Einigung zwischen Verdi und den Uni-Kliniken kommen würde. „Man hat schon Pferde kotzen sehen vor der Apotheke“, brachte eine Pflegekraft die Anspannung am Dienstagabend auf den Punkt. Kurz darauf kam die Nachricht: Die Verdi-Tarifkommission akzeptierte nach elf Wochen Streik das in der Nacht zuvor mit den Arbeitgebern ausgehandelte Eckpunktepapier zu einem „Tarifvertrag Entlastung“ an den sechs Uni-Kliniken des Landes. In die allgemeine Erleichterung mischen sich indes auch kritische Töne.

Die wichtigsten Eckpunkte

Der Tarifvertrag beginnt am 1. Januar 2023 und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Kernpunkte sind verschiedene Modelle, die die Beschäftigungsgruppen im Klinikalltag entlasten sollen. Für weite Teile der Pflege sowie der psychiatrischen Stationen und der Notaufnahme soll „schichtgenau“ das Zahlenverhältnis von Beschäftigten und Patientinnen und Patienten festgelegt werden. Wird diese Quote unterschritten, erhalten die Beschäftigten Belastungspunkte. Für jeweils sieben Punkte wird ihnen ein freier Tag als Ausgleich gewährt.

Im ersten Jahr der Umsetzung können bis zu elf Tage zusammenkommen, im zweiten Jahr 14 und ab dem dritten Jahr maximal 18 Tage. Für die Bereiche Service, IT und Technik wurde der Aufbau von 30 Vollzeitstellen pro Uniklinik vereinbart. Die Erfassung der Belastungssituation soll automatisch über ein IT-System erfolgen. Für den Aufbau der nötigen Technik erhalten die Kliniken ab Anfang des nächsten Jahres 18 Monate Zeit.

Die Signalwirkung

Zurückhaltend reagierte die Krankenhausgesellschaft (KGNW), der Zusammenschluss der Krankenhausträger und Spitzenverbände in NRW, auf den Tarifvertrag „Entlastung“. KGNW-Präsident Ingo Morell sagte unserer Redaktion: „Die voraussichtlich mit dem Abschluss verbundene Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings stellt sich die Frage nach der Finanzierung der damit verbundenen zusätzlichen Personalkosten, sofern diese nicht über das Pflegebudget durch die Krankenkassen finanziert werden sollte.“ Eine Übernahme durch das Land wäre zugleich eine Zusage, dies für alle Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen zu tun, so Morell. „Denn ansonsten wäre dies eine Ungleichbehandlung, die schwerlich zu erklären wäre.“

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Morell bezieht sich damit auf die Zusage von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), das Land werde als Träger der Unikliniken für eine Refinanzierung der nicht von den Kassen übernommenen Kosten geradestehen. Mit welchen Summen die Landesregierung einspringen muss, ist nach Auskunft des Gesundheitsministeriums derzeit noch unklar.

Der katholische Krankenhausbetreiber Contilia, der in Essen, Hattingen und Mülheim sieben Häuser betreibt, greift ebenfalls diesen Punkt heraus: „Als konfessioneller Träger haben wir ein eigenständiges Tarifsystem, den sogenannten dritten Weg“, erklärte Dirk Albrecht, Vorsitzender Contilia-Geschäftsführung, auf Anfrage. Inwieweit die Ergebnisse künftig Einzug in die Regelungen des dritten Weges halten könnten, müsse nun von den zuständigen Gremien beraten werden. „Dabei werden Umfang, Herkunft und Verwendung zusätzlicher Mittel, wie sie jetzt mit den Unikliniken vereinbart wurde, mit Sicherheit zentraler Bestandteil der Gespräche und Überlegungen sein.“

Die Beschäftigten

Die große Erleichterung nach einem langen und harten Arbeitskampf sei in der Belegschaft spürbar, sagt Alexandra Willer, Vorsitzende des Personalrats am Uniklinikum Essen. Bitter sei allerdings, dass die Entlastung erst in etwa zwei Jahren greifen wird, wenn die IT-Systeme funktionsfähig sind. „Ab jetzt noch zwei Jahre durchhalten zu müssen, ist hart für uns. Wir haben gehofft, dass es schneller geht“, so Willer. Es komme jetzt auch darauf an, dass die Kliniken rasch zusätzliche Stellen im Pflegebereich schaffen, um eine Häufung von Entlastungstagen zu vermeiden. Der Tarifvertrag Entlastung sei der Einstieg in eine weitere Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

„Ich bin wahnsinnig stolz auf die Kollegen und Kolleginnen, die an einem Strang gezogen haben und zugleich die Patientenversorgung gestemmt haben“, sagt die Essener Krankenschwester Rita Gottschling. „Das ist ein Riesending und zeigt bundesweit, was man erreichen kann.“ Auf dem Erfolg werde man sich aber nicht ausruhen, meint die 42-Jährige. „Nach dem Tarifvertrag ist vor dem Tarifvertrag. In fünf Jahren werden wir daran anknüpfen und für weitere Verbesserungen kämpfen. Ich bin überzeugt, wir werden wieder gemeinsam stark sein.“

Die Gewerkschaft

Verdi spricht von einem „großen Etappensieg“ der Beschäftigten. „Das dient der eigenen Gesundheit und dem Wohl der Patientinnen und Patienten und musste gegen die Profitlogik des Krankenhauswesens durchgesetzt werden“, sagte Katharina Wesenick, Verdi-Fachbereichsleiterin für Gesundheit. Damit sei der erste Flächentarifvertrag „Entlastung“ an Krankenhäusern in Deutschland durchgesetzt worden. Die 18-Monatsfrist zur Einführung der IT-Systeme schmerzt aber auch die Gewerkschaft. „Das ist uns schwergefallen, denn die Kolleginnen und Kollegen brauchen schnellstmöglich Entlastung“, sagte Verhandlungsführer Heinz Rech.

Die Klinik-Chefs

Erleichterung herrscht nach dem langen Arbeitskampf auch bei den Klinik-Chefs. „Es waren seit dem 10. April sehr harte, aber immer faire Verhandlungen“, betonte Thorsten Kaatze, Kaufmännischer Direktor und stellvertretender Vorsitzender der Universitätsmedizin Essen. „Wichtig ist, dass das Land NRW für die erheblichen finanziellen Belastungen einsteht, um bei den Unikliniken keine Schieflage zu forcieren. Denn die Folgen des Streiks werden wir mit knapp 3000 ausgefallenen Operationen nachhaltig spüren“, so Kaatze.

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Die Einigung könne „Vorbildcharakter für Krankenhäuser in ganz Deutschland besitzen“, meinte Prof. Jochen A. Werner, Chef des Uniklinikums Essen. Pflegedirektorin Andrea Schmidt-Rumposch kündigte an: „Wir werden aktiv und auf allen medialen Kanälen um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werben, um Personal aufzubauen. Durch die Vereinbarung werden wir als Arbeitgeber noch attraktiver.“

Die Landesregierung

Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) begrüßte die Einigung. Sie bringe eine „spürbare Entlastung für alle patientennahen Berufe an des sechs Universitätskliniken“. Das Land habe dafür mit der Änderung des Hochschulgesetzes die Weichen gestellt. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte: „Ich habe mal gesagt: Die Pflege braucht einen Lokführermoment. Den haben die Beschäftigten an den Universitätskliniken nun für sich beansprucht – und das mit Erfolg.“