Düsseldorf. Nie waren Ehefrauen der Spitzenkandidaten in NRW so präsent wie diesmal. Warum sich Wüst und Kutschaty als Familienmenschen zeigen.

Am nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf hätte Herz-Schmerz-Autorin Rosamunde Pilcher vermutlich ihre helle Freude. „Bei Katharina war ich mir sicher, alles fühlte sich richtig an“, gestand Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) neulich der Zeitschrift „Bunte“. Mehr noch: „Sie ist für mich der wichtigste Mensch an meiner Seite, meine beste Ratgeberin.“

SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty konterte kurz darauf im selben Blatt mit einer Hommage an seine Christina: „Meine Frau ist klug und praktisch – und verdient ihr eigenes Geld. Ich leide nicht an ihrer Stärke, ich liebe genau das.“

Noch nie erlebte NRW eine politische Auseinandersetzung so sehr als permanenten Valentinstag wie aktuell. Liebesschwüre, private Bekenntnisse, familiäre Einblicke überall. Wüst zeigte schon bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im vergangenen Oktober, dass für ihn das Private nicht nur privat ist. Umringt von Fotofragen schob der 46-Jährige den Kinderwagen mit Töchterchen Philippa (1) über den Vorplatz des Landtags und küsste Ehefrau Katharina im Kameraklicken.

Kaum eine Rede ohne Vater- und Familienbezug

Die 34-jährige Juristin, die bei der NRW-Bank gearbeitet hat, stammt ebenfalls aus Wüsts Heimatort Rhede im Münsterland und ging zur selben Schule. In der Kanzlei ihres Vaters hatte der CDU-Politiker einst einen Teil seiner Referendarausbildung absolviert. Katharina Wüst ist die jüngste „First Lady“ in NRW seit Christina Rau. Im Februar sah man sie beim Besuch des Bundespräsidenten in Essen. In dieser Woche übernahm sie in Wegberg die Schirmherrschaft des Müttergenesungswerks.

Seit Oktober vergeht kaum eine Rede, in der Hendrik Wüst nicht irgendwie seine Rolle als Vater und Ehemann einfließen lässt. Der Morgen am Wickeltisch, die kurzen Nächte wegen des Zahnens, Katharinas beruflicher Wiedereistieg nach der Elternzeit, das Pendeln zwischen Rhede und Düsseldorf – viele politische Fragen werden mit biografischer Glaubwürdigkeit unterfüttert. Die gewünschte Botschaft: Hier kennt jemand das wirklich wahre Leben.

"Wenn man in die Politik geht, geht die Familie mit"

Ein Dienstagabend im Februar, die NRW-SPD hat in den legendären „Ratinger Hof“ in der Düsseldorfer Altstadt eingeladen. Parteichef Lars Klingbeil stellt eine Borschüre vor, die Thomas Kutschaty von einer anderen Seite zeigen soll. Der 53-jährige Jurist aus Essen-Borbeck war schon mal Justizminister und stand wie Konkurrent Wüst lange im Ruf, nicht unbedingt ein Menschenfischer zu sein. Die Broschüre zeichnet nun seinen Aufstieg nach: aus einer ärmlichen, aber glücklichen Jugend in einer Eisenbahner-Wohnung mit Kohleofen zum Rechtsanwalt für gepeinigte Mieter und schließlich in die Spitzenpolitik.

In der ersten Reihe im „Ratinger Hof“ sitzt Christina Kutschaty (52), studierte Raumplanerin mit griechischen Wurzeln, die heute das Planungsamt der Stadt Remscheid leitet. Sie lernte ihren Mann einst bei den Jusos kennen. Sie sind seit 27 Jahren verheiratet und haben drei erwachsene Kinder. Später wird Christina Kutschaty auch in einem SPD-Wahlspot auftauchen. „Wenn man in die Politik geht, geht die Familie mit“, schreibt Thomas Kutschaty unter sein Hochzeitsfoto, das er irgendwann bei Instagram veröffentlicht.

Die Präsenz der Ehefrauen ist in der NRW-Politik neu

Die Präsenz der Ehefrauen ist in dieser Form neu für NRW. Susanne Laschet, die Gattin des früheren Ministerpräsidenten, wirkte froh, wenn sie ihr Aachener Buchhändlerinnen-Leben weitgehend unbehelligt vom Regierungsgeschäft leben konnte. Als sie 2020 in einem ihrer raren Talkshow-Auftritte einmal gefragt wurde, ob sie lieber First Lady oder Landesmutter genannt werden wolle, lautetet die Antwort: „Beides scheiße.“

Auch Susanne Laschets Vorgänger Udo Kraft drängte nicht ins Licht der Öffentlichkeit. Der Elektroinstallateur-Meister aus Mülheim klebte zwar im Wahlkampf wie ein Weltmeister Plakate für seine Frau Hannelore, beschränkte seine Auftritte an der Seite der Ministerpräsidentin ansonsten aber auf das protokollarische Minimum.

Die sozialen Netzwerke verlangen biografische Glaubwürdigkeit

Die als eher blass geltenden Wüst und Kutschaty versprechen sich von der prominenten Rolle ihrer patenten Ehefrauen offenbar eine Art Charisma-Transfer. Vor allem aber folgen sie den modernen Regeln der Sozialen Netzwerke, die immerzu Einblicke und Teilhabe verlangen. Man zeigt hier, wer man ist und was man hat.

Die allgegenwärtige Identitätspolitik verändert zudem das Rollenverständnis von Wahlkämpfern: Legitimation speist sich in vielen Gesellschaftsbereichen nur noch aus Erfahrung. Wer für sozialen Aufstieg eintritt, soll bitte selbst einen vollbracht haben. Es genügt nicht mehr, die richtigen politischen Rezepte für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu kennen, sondern man soll sie auch persönlich leben. Die besten Einsichten und Absichten für ein künftiges Regierungsprogramm sind nichts wert, wenn sie im Fotoreigen der sozialen Netzwerke nicht mit Authentizität unterlegt werden können.