Düssedorf. Auf mehr als zehn Millionen Mieter in NRW kommen womöglich Mieterhöhungen zu. Es sei denn, der Staat übernimmt die Kosten.
Wohnungsunternehmen und Hauseigentümer warnen vor drastischen Baukosten- und Mietsteigerungen in den kommenden Jahren, insbesondere in NRW. „Wir sind nicht nur auf dem Weg in eine Klimakrise, sondern auch in eine Sozialkrise“, sagte Özgür Öner, Leiter des Brüsseler Büros des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), dieser Redaktion. Hintergrund sind EU-Richtlinien zur Energie-Effizienz von Wohnhäusern, die ab 2030 höhere Standards vorschreiben.
Laut Öner würde zum Beispiel die Sanierung einer 60-Quadratmeter-Wohnung aus den 1970-er Jahren, von denen es viele im Ruhrgebiet gibt, eine Mieterhöhung von 100 bis 120 Euro zur Folge haben. „Die Energieersparnis liegt im ersten Jahr aber nur bei knapp 30 Euro“, so der Experte. Für Geringverdiener sei ein Mietanstieg von rund 100 Euro eine gewaltige Summe.
"Faktische Enteignung droht"
Für einen „Preisschock“ dürfte laut Öner die EU-Gebäuderichtlinie EPBD bei Eigentümern sorgen. Ab Ende 2030 seien sogar Strafen möglich für Hausbesitzer, die die Klima-Standards nicht einhalten. „Man stelle sich vor: Eine ältere Hausbesitzerin, die sich das nicht leisten kann und auch keinen Kredit mehr bekommt. Dieser Frau droht das Bauamt mit einer Strafe. Das ist eine faktische Enteignung“, so Öner.
Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (VdW) teilt die Befürchtungen. „Um die Mieten bezahlbar zu halten und gleichzeitig klimagerecht zu wohnen, müssen zum einen mehr Wohnungen kostengünstig entstehen und zum anderen auch Sanierungen zu bezahlbaren Kosten möglich sein. Doch bereits jetzt registrieren wir die höchsten Baupreise seit 1970 und den stärksten Anstieg der Baustoffpreise seit Gründung der Bundesrepublik“, sagte VdW-Verbandsdirektor Alexander Rychter auf Nachfrage. Dies hemme Investitionen in den Wohnungsbau. Die Baubranche rechne für 2023 mit einem massiven Einbruch des Wohnungsneubaus.
Gibt die Bank noch Kredit?
„Es ist mit einer Kostenexplosion zu rechnen“, warnt auch Inka-Marie Storm, Chefjustiziarin des Eigentümer-Verbandes Haus und Grund. Es fehlten Fachkräfte und Material. Auch die Finanzierung der Modernisierung sei nicht gesichert. Denn für private Eigentümer im höheren Alter dürfte es sehr schwer werden, sich bei einer Bank Geld zu leihen.
NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty nannte das Wohnen nach einem Treffen mit Özgür Öner „die zentrale soziale Frage dieses Jahrzehnts“. Wohnraum werde knapper und immer teurer. Klimakrise und Energiewende trügen ihren Teil dazu bei. „Das darf aber nicht auf dem Rücken der mehr als zehn Millionen Mieterinnen und Mieter in NRW ausgetragen werden.“
Die EU-Energieeffizienzrichtlinie und die EU-Gebäuderichtlinie zielen auf einen nachhaltigen Umbau des Wohnens. Aus der Sicht großer Teile der Wohnungswirtschaft in NRW sind die Pläne für Eigentümer und Mieter aber unbezahlbar und die Ziele der EU überambitioniert.
André Juffern, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes NRW, stellt klar, dass CO2-neutrale Gebäude zwar notwendig seien. „Maßnahmen für den Klimaschutz dürfen gleichzeitig nicht dazu führen, dass es auf dem Wohnungsmarkt zu weiteren sozialen Verwerfungen kommt“, sagt Juffern. Weder die Vermieter noch die Mieter noch der Staat dürften überfordert werden.
Häuser mit Formel-1-Standard
„Das Ziel ist bis 2050 der Null-Emissions-Standard. Das kann man beim Neubau schaffen, aber nicht bei der Sanierung bestehender Häuser“, sagte Özgür Öner vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). „Die Frage ist: Brauchen wir wirklich Null-Emissions-Häuser? Es muss doch nicht jedes Haus einen Formel-1-Standard haben“, findet Öner.
Er schlägt unter anderem vor, kommunale Wohnungsunternehmen, die Garanten für bezahlbares Wohnen also, bei der Energieeffizienz nicht so hart unter Druck zu setzen wie geplant. Falls das nicht gelinge, seien Garantien erforderlich, dass die Sanierung staatlich finanziert werde und Mieter nicht zur Kasse gebeten würden.
SPD-Rat: Möglichst die Interessen aller berücksichtigen
„Die energetische Sanierung und der Umbau des Wohnungsbestands wird nur gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft, den kommunalen Wohnungsunternehmen und den zahlreichen Genossenschaften gelingen. Hier müssen alle an einem Strang ziehen“, forderte NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty nach einem Gespräch mit Öner. Vorbildlich sei das Projekt "Innovation City" in Bottrop.
„Energetische Maßnahmen hin zu einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand stellen die Wohnungswirtschaft vor enorme Herausforderungen. Vor allem dann, wenn wir die Bezahlbarkeit von Wohnraum langfristig sicherstellen wollen.“, betonte VdW-Verbandsdirektor Alexander Rychter vom Wohnungswirtschaftsverband VdW Rheinland Westfalen.
Haus und Grund: "Ganze Lebenswerke könnten vernichtet werden"
Der Verband Haus und Grund schlägt ebenfalls Alarm: „Die Energieeffizienz von mindestens 35 Millionen Gebäuden in fünf bis acht Jahren in ganz Europa zu verbessern, ist eine Herkulesaufgabe.“ Die Mindestanforderungen an die Energieeffizienz verpflichteten die Eigentümer der Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz zur Modernisierung, unabhängig davon, ob es sich um kleine Haushalte oder große Unternehmen handele, ob es private oder öffentliche Gebäude seien, ob vermietet seien oder privat genutzt und unabhängig davon, ob sich die Eigentümer die Modernisierung leisten könnten oder nicht. Ganze Lebenswerke könnten vernichtet werden.