Essen. Noch immer Kleinstaaterei? Ein internes Papier des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr deckt bedenklich viele Mängel im Ruhrgebiets-ÖPNV auf.
13 Verkehrsbetriebe, ein halbes Dutzend Bahnunternehmen, zwei Gleisbreiten, ein Verkehrsverbund: Der Nahverkehr im Ruhrgebiet gleicht einem dicht verwobenen Flickenteppich. Die Debatte über diese seit Jahren bemängelte Kleinstaaterei im ÖPNV erhält nun neue Nahrung. Eine interne Potenzial-Analyse des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) listet gleich dutzendweise Schwachstellen in der ÖPNV-Organisation auf. Das sorgt in der Branche für einigen Wirbel.
60-Seiten-Papier
Das 60-Seiten-Papier, das dieser Redaktion vorliegt und unter anderem mit thematisch passenden WAZ-Zeitungsartikeln illustriert ist, listet minutiös auf, woran es in der Nahverkehrsorganisation im Revier hapert. Die VRR-Autoren machen zudem konkrete Verbesserungsvorschläge, allerdings ohne allzu sehr auf die Kosten einzugehen.
„Taktbrüche“ an den Kommunalgrenzen
Die Liste der Schwachstellen fällt bedenklich lang aus und ist ausgesprochen detailreich. Einmal mehr geht es um die seit Langem diskutierten „Taktbrüche“ an den Kommunalgrenzen, die Fahrgäste zu teils absurden Umwegen zwingen. In diesem Punkt hatte sich zuletzt der Regionalverband Ruhr verdient gemacht, indem er insgesamt 65 verschiedene Verbindungslücken im grenznahen ÖPNV zwischen benachbarten Revierkommunen lokalisierte.
Die VRR-Analyse bestätigt diesen Befund, geht aber insgesamt deutlich weiter als der RVR. Zu den ÖPNV-Schwachstellen im Ruhrgebiet gehören demnach nicht nur fehlende Vorrangschaltungen für Busse und Bahnen gegenüber dem Individualverkehr, uneinheitlich gestaltete Haltestellen und die bislang noch nicht umgesetzt Harmonisierung kommunaler Nahverkehrspläne, sondern auch ein vergleichsweise harmlos klingender Tatbestand wie der unabgestimmte Fahrplanwechsel.
Kein einheitliches Datum beim Fahrplanwechsel
Entgegen weit verbreiteten Gepflogenheiten im öffentlichen Verkehrswesen nämlich haben sich einige Revier-Verkehrsbetriebe offenbar still und leise vom europaweit einheitlichen Datum für den alljährlichen Fahrplanwechsel verabschiedet. „Für einen Fahrgast mit einer täglichen und typischen Pendler-Verbindung von Tür zu Tür – mit einem kommunalen Verkehrsunternehmen, einem Eisenbahnverkehrsunternehmen und einem weiteren kommunalen Verkehrsbetrieb – kann es so unter Umständen dazu kommen, dass sich seine gewohnte Verbindung innerhalb weniger Wochen drei Mal ändert“, heißt es dazu in dem VRR-Papier.
Viel Luft nach oben auch bei Nachtfahrplänen
Den Fahrplanwechsel im Verbundgebiet auf ein und dasselbe Datum zu legen, ist nach VRR-Einschätzung eigentlich eine leichte Übung. Vorstöße, zum einheitlichen Datum zurückzukehren, seien bislang aber an den Verkehrsunternehmen gescheitert. Erkennbar wenig überzeugt ist der VRR von den vorgebrachten Gegenargumenten der Betriebe. Mal seien es „Bedenken des Betriebsrats“ gewesen, mal sei der „Fahrplan während eines Weihnachtsmarktes nicht zu ändern“, mal hätten die Verkehrsunternehmen auf ihren „Gestaltungsspielraum“ verwiesen.
Angebot für eine Metropolregion "unüblich"
Viel Luft nach oben sieht der VRR auch beim Spät- und Nachtfahrplan. Von einem metropolengerechten und auf die veränderten Bedürfnisse der Fahrgäste zugeschnittenen Angebot könne im Ruhrgebiet keine Rede sein. Während in Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen an Wochentagen noch bis nach ein Uhr nachts Bahnen unterwegs seien, werde der Betrieb in Essen, Mülheim und Duisburg bereits gegen 23 Uhr eingestellt und durch Busse ersetzt.
Auch in der Taktfrequenz seien für den Fahrgast starke Unterschiede zu spüren. Einige Betriebe böten nach 20 Uhr auf einzelnen Linien noch einen 15-Minuten-Takt an, bei anderen werde der Takt von Straßen- und Stadtbahnlinien nach 20 Uhr auf 30 Minuten umgestellt. Für einen Ballungsraum von der Größe des Ruhrgebiets sei das Angebot jedenfalls „unüblich“, schreibt der VRR.
"Kirchturmdenken immer noch da"
Freuen dürften sich die angesprochenen Verkehrsbetriebe der Region über die Analyse wohl kaum. Ein Großteil der Schwachstellen geht erkennbar auf ihr Konto. Aus VRR-Kreisen ist zu hören, so manches Unternehmen habe angesichts der Mängelliste „gefaucht“, weil man sich bevormundet fühle. Warum man nach all den Jahren der Debatte über einen besseren ÖPNV überhaupt noch derart viele Schwachstellen im Nahverkehrskonstrukt des Ruhrgebiets findet, kommentiert ein an der Diskussion Beteiligter gegenüber unserer Redaktion so: „Das Kirchturmdenken ist nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor zehn Jahren. Es ist aber immer noch da.“