Düsseldorf. Raser, bekiffte Autofahrer, betrunkene E-Scooter-Fahrer, ungeübte Pedelec-Nutzer. Die Unfallstatistik gibt viel Anlass zu Besorgnis.
Weniger Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr als je zuvor, dafür viel mehr Verantwortungslosigkeit „bei Drogen-Konsumenten, Pedelec- und E-Scooter-Fahrern und illegalen Rasern“. Das ist laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Besorgnis erregende Bilanz der Verkehrsunfallstatistik für das Jahr 2021.
So stieg die Zahl der verletzten Pedelec-Fahrer im vergangenen Jahr um rund ein Viertel auf 4758. Elf Menschen starben in NRW, weil sich ein Verkehrsteilnehmer im Drogenrausch hinters Steuer setzte – so viele wie noch nie in einem Jahr. Reul warnte in diesem Zusammenhang eindringlich vor einer Legalisierung von Cannabis. Die Zahl der illegalen Autorennen stieg um ein Drittel. „Krass“ war laut Reul auch der Anstieg bei den Unfällen mit E-Scootern um 713 auf 1101.
"Die Straße ist keine Rennstrecke"
Der Minister zeigte sich am Montag fassungslos angesichts der aus seiner Sicht „brutalsten Verantwortungslosigkeit“ mancher Verkehrsteilnehmer: „Die Straße ist kein Trainingsparcours, die Straße ist keine Rennstrecke, die Straße ist erst recht kein Coffee-Shop, wo man seinen Rausch auslebt.“ Die Polizei werde besonders die illegale Raserei „ohne Wenn und Aber bekämpfen“.
Trotz der sehr erfreulichen Entwicklung bei der Zahl der Toten und Schwerverletzten im Verkehr fiel Reuls Bilanz bitter aus: „Gäbe es eine Statistik zur Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr, dann würde der Pfeil steil nach oben gehen“, sagte er bei der Vorstellung der jüngsten Verkehrsunfallstatistik. Viele Pedelec und E-Scooter-Fahrer, handelten verantwortungslos, ganz zu schweigen von illegalen Rasern. Die Entwicklung im Überblick:
Die gute Nachricht
Noch nie seit Beginn der Statistik im Jahr 1953 gab es auf den Straßen in NRW weniger Tote und Schwerverletzte als im vergangenen Jahr und das, obwohl zuletzt wieder mehr gefahren wurde als im ersten Corona-Jahr. 425 Menschen starben bei einem Verkehrsunfall, 11.872 wurden schwer verletzt. „Wir vermuten, dass die Auto-Assistenzsysteme langsam Wirkung zeigen“, sagte Reul. Die Zahl der Unfälle stieg insgesamt um 4,3 Prozent auf. 580.907.
Fahrten unter Drogeneinfluss
Noch nie starben in NRW mehr Menschen, weil sich jemand im Drogenrausch hinters Steuer gesetzt hat: Elf Menschen verloren 2021 deshalb ihr Leben. Das sind fünf mehr als im Jahr 2020. Insgesamt 20.210 Fahrer wurden wegen Drogenkonsums aus dem Verkehr gezogen – ein Plus von 23,8 Prozent oder 4000 Verstöße.
Die Zahl der Unfälle, bei denen Drogen die Ursache waren, ging um 20 auf 486 zurück. Das Minus bei Unfällen und das Plus bei den festgestellten Drogen-Verstößen führt das Innenministerium auf den „höheren Kontrolldruck der Polizei“ zurück.
Carmen Fernandez Mendez, Verkehrsreferentin im Innenministerium, berichtete von einer Drogen-Kontrolle Drogen im Kreis Steinfurt an einer unfallträchtigen Bundesstraße. An einem Montag wurden dort in sechs Stunden 29 Blutproben entnommen. Ergebnis: 21-mal wurde Cannabiskonsum festgestellt, fünfmal Kokain, dreimal Amphetamin, einmal Alkohol.
„Ich wünsche mir, dass man in der Diskussion über die Legalisierung von Cannabis hin und wieder den Verkehr mitdenkt. Kommt die Legalisierung, steigt der Konsum, und das wird zu mehr Unfalltoten führen“, sagte Herbert Reul. Cannabis schränke die Fahrtüchtigkeit stark ein.
Handy am Steuer
Hier wurden rund 158.000 Verstöße gezählt und damit etwa 23.000 mehr als im Jahr 2020 (plus 17 Prozent).
Illegale Autorennen
Schon von 2019 auf 2020 gab es hier eine Verdoppelung und auch im vergangenen Jahr eine deutliche Zunahme: 2037 illegale Rennen wurden gezählt -- ein Drittel mehr als 2020.
Die Zahl der Unfälle bei illegalen Rennen stieg um 119 auf 384. Ein Mensch starb bei einem Rennen. 335 Fahrzeuge wurden sichergestellt, 370 Führerscheine eingezogen. Hotspots der Raser-Szene sind laut Reul Dortmund, Düsseldorf und Essen. Bei den Tätern handele es sich vor allem um Männer zwischen 17 und 26 Jahren. „Das Rasen führt ins Krankenhaus, auf den Friedhof oder ins Gefängnis. Die Polizei wird Raser ohne Wenn und Aber bekämpfen“, drohte Reul.
Pedelec-Fahrer
Hier setzt sich der negative Trend bei den Verunglückten fort. Die Zahl der Verletzten stieg um ein Viertel auf 4758. 32 Menschen starben bei einem Pedelec-Unfall, zwei mehr als im Vorjahr. Von den 32 Toten waren 24 über 65 Jahre, 19 über 75 Jahre alt. Reul: „Wir haben ein besonders tödliches Pedelec-Problem bei Älteren.“ Er appellierte an Pedelec-Käufer: „Machen Sie bitte ein Fahrtraining.“ Vielerorts gebe es solche Angebote. Über eine Helmpflicht für Pedelec-Fahrer denkt Reul weiter nach. Das Problem sei aber eher, „dass sich Leute aufs Pedelec setzen, die es nicht können.“
E-Scooter
2021 wurden insgesamt 1101 Unfälle gezählt, 713 mehr als 2020. 967 Menschen wurden verletzte -- fast dreimal so viele wie im Jahr davor. Bei jedem fünften E-Scooter-Unfall war Alkohol die Hauptursache. Viele Scooter-Unfälle fließen offenbar gar nicht in die Statistik ein.
Ist die ganze Gesellschaft immer verantwortungsloser?
Zur ansteigenden „Verantwortungslosigkeit unter Verkehrsteilnehmern hat Minister Reul seine eigene Theorie: „In anderen Bereichen des Lebens sind die Menschen auch verantwortungsloser. Früher gab es Schlägereien, heute werden Messer gezückt. Früher gab es auf Schulhöfen Rangeleien und kaputte Hosen, heute wird draufgetrampelt, wenn die Opfer am Boden liegen.“ Das alles habe etwas mit Haltung und Einstellung zu tun.