Düsseldorf. Die Angst geht um. Landesbeauftragter Heiko Hendriks (CDU) über die Befürchtungen und Befindlichkeiten der Aussiedler in NRW.
Die Krise zwischen Russland und der Ukraine beunruhigt hunderttausende Bürger in NRW, die familiäre Wurzeln in diesen Ländern haben. Ihre Ängste beschreibt Heiko Hendriks (CDU) im Gespräch mit Matthias Korfmann. Der Mülheimer ist Beauftragter der Landesregierung für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen und (Spät-)Aussiedlern.
Herr Hendriks, was löst der Ukraine-Konflikt unter Russlanddeutschen und anderen, die in NRW leben und familiäre Wurzeln in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben, aus?
Hendriks: Ganz menschlich: Er löst Angst vor Krieg aus, weil Familienangehörige und Freunde dort betroffen sind. Es sind mehr Emotionen im Spiel als bei jenen, die keinen persönlichen Bezug zu der Region haben. Insbesondere bei denen, die aus der heutigen Ukraine kommen. Da spielt es eine große Rolle, ob sie ihr ganzes Leben in der Ukraine verbracht haben und sich mit diesem Land identifizieren oder ob sie zunächst in Russland waren und nach Ende des Kalten Kriegs in die Ukraine gingen.
Über wie viele Menschen reden wir hier?
Hendriks: Wir können davon ausgehen, dass rund 700.000 Russlanddeutsche mit Spätaussiedlerstatus in NRW leben. Ihre Eltern, Kinder und Enkel sind da aber nicht mitgezählt. Ich gehe davon aus, dass annähernd eine Million Menschen in NRW unmittelbaren familiären Bezug zu den Nachfolgestaaten der UdSSR haben, also zum Beispiel zu Russland, Kasachstan und zur Ukraine.
Wie viele kamen zuletzt aus der Ukraine?
Hendriks: Unter den rund 50.000 Spätaussiedlern, die in den vergangenen sieben Jahren nach Deutschland kamen, waren etwa ein Drittel aus der Ukraine. Insbesondere aus der Ostukraine, weil es dort Siedlungsgebiete für Russlanddeutsche gibt. Und von diesen 50.000 lebt ein Drittel in NRW. Ihre Zustimmung zur demokratischen Entwicklung in der Ukraine ist recht groß.
Was fühlen jetzt deutsche Aussiedler, die einen Russland-Bezug haben?
Hendriks: Die Mehrheit jener, zu denen ich Kontakt habe, sieht die Entwicklung in Russland schon seit der Annexion der Krim kritisch. Die Unruhen in Belarus verstärken dies noch. Es gibt aber eine Minderheit, die sagt, dass sich Russland unter Putin zum Positiven entwickelt habe und meint, ein so großes Reich mit dieser Geschichte sei nur autoritär zu regieren. Man brauche dort keine Demokratie nach westlichem Vorbild.
Vertiefen sich diese Gegensätze jetzt?
Hendriks: Das kann geschehen. Die Frage ist: Welcher Version wird geglaubt? Der von Putin oder der des Westens? Russische Medien, die hier zu empfangen sind, befeuern das. Ein Teil der Deutschen aus Russland ist immer noch sicherer in der russischen Sprache als in der deutschen. Das hat etwas damit zu tun, dass sie die deutsche Sprache in der UdSSR nicht pflegen durften. Wenn sie heute 60 Jahre alt sind, haben sie 30 Jahre lang nicht richtig Deutsch gesprochen. Die Folge. Die Zuwendung zu Medien, die Russisch sprechen, fällt ihnen leichter.
Und die russische Regierung zielt darauf, die russischsprachige Community hier mit ihrer Sichtweise zu füttern. „Russia Today“ spielt bei der Desinformation eine große Rolle. Es könnte daher sein, dass die neue Aggression Russlands in Teilen der Community akzeptiert wird, unter den Älteren mehr als unter den Jüngeren.
Wie kommt Putin unter den Russlanddeutschen an?
Hendriks: Durch die Annexion der Krim und seine Kriegsrhetorik schreckt Putin diejenigen, die in der deutschen Gesellschaft angekommen sind, insbesondere die russlanddeutschen Frauen, eher ab. Die, die sich Russland weiter sehr stark verbunden fühlen, die vielleicht als Angehörige von Russlanddeutschen nach NRW kamen, sehen Putin tendenziell positiver. Am Ende ist es auch eine Frage, was man unter Heimat versteht. Ich kenne viele Russlanddeutsche, die sagen, Russland sei nicht ihre Heimat, sondern das Dorf, in dem sie aufwuchsen. Das Essen, die Lieder, die Landschaft dort.
Wie ausgeprägt ist die Identifikation der Russlanddeutschen mit Deutschland?
Hendriks: Sie fühlen sich Deutschland sehr eng verbunden, haben ja auch in Russland ihre deutschen Traditionen und ihr Christsein gepflegt. Man muss allerdings auch sagen: Diejenigen, die Ende der 1980-er Jahre zu uns kamen, hatten eine Deutschlandbild der 1960-er Jahre im Kopf. Viele waren überrascht und enttäuscht. Beim ersten Kirchgang in der evangelischen Amtskirche sahen sie, dass die Kirche fast leer war.
Viele in dieser Community neigen dazu, politisch vorsichtig zu sein. Das gehört zu ihrer Lebenserfahrung als Deutsche in Russland: Bleibt unter euch, fallt nicht auf, seid fleißig und kümmert euch umeinander. Das ist tief in der DNA dieser Menschen.
Wo wohnen Russlanddeutsche in NRW?
Hendriks: Über das Land verteilt, unauffällig in der Mitte der Gesellschaft. Es gibt aber Schwerpunkte in Ostwestfalen, Köln, im Oberbergischen Kreis und im Kreis Soest sowie im nördlichen Ruhrgebiet.