Lützerath. Ein Mann streitet mit RWE und ist zur Ikone der Anti-Kohlebewegung geworden. Sein Kampf erinnert an den, den ein Bauer am Niederrhein führte.
Eckardt Heukamp lehnt sich gegen das mit Stickern beklebte Ortseingangsschild von Lützerath, er ist dick eingemummelt, ein scharfer Wind faucht ihm ins Gesicht. Hinter ihm erhebt sich die dunkle Backsteinfassade seines denkmalgeschützten Hofs aus dem 18 Jahrhundert. Die gewaltige Grube zweihundert Meter weiter gegenüber, in der dieser Hof verschwinden soll, und die riesigen Bagger sind hinter den Regenschleiern verborgen, die an diesem kalten Januar-Tag durch das Rheinische Braunkohlerevier peitschen.
Lützerath, das ist ein kleines Dorf bei Erkelenz südlich von Mönchengladbach. Es ist das letzte Dorf, das der Braunkohle zum Opfer fallen soll, die in der Region seit hundert Jahren abgebaut wird und die der Stoff ist, mit dem in dem gewaltigen Kraftwerk Neurath Strom erzeugt wird. Früher lebten in Lützerath etwa 90 Menschen, jetzt harrt von den früheren Einwohnern nur noch Eckardt Heukamp hier aus.
Hundert Aktivisten campieren auf der Wiese
Mit ihm stemmen sich Aktivisten der Anti-Kohlebewegung gegen den Abriss des Dorfes. Etwa hundert von ihnen haben auf der Wiese hinter Heukamps Hof Häuser in Baumwipfel gebaut, ähnlich den Baumhäusern, wie sie im Hambacher Fortst oder im benachbarten Dorf Keyenberg errichtet worden sind.
Der Hambacher Forst und Keyenbergwerden nicht mehr der Kohle weichen müssen, so wie vier weitere kleine Dörfer, deren Ende noch durch das Kohlegesetz 2020 besiegelt schien. Nun strebt die Berliner Ampel-Koalition mit 2030 einen früheren Ausstieg aus der Kohle an. Lützerath jedoch ist noch immer in Gefahr, und dagegen kämpft Eckardt Heukamp.
„Das ist der Hof meiner Eltern“, erzählt der 57-Jährige an einem Plastiktisch zwischen dem großen Holland-Mähdrescher und der Feldspritze von Agrifac, mit der er den Pflanzenschutz auf seinen Feldern aufbringt, jedenfalls auf denen, die ihm noch geblieben sind. Natürlich, sagt er, wusste hier in der Region jeder, dass die Kohle darunter liegt, sie sahen, wie ein Dorf nach dem nächsten in der Grube verschwand. „Wir hatten die Hoffnung, dass die Kernenergie die Kohle überflüssig macht.“
Stattdessen verschwanden die Siedlungen und die Landmarken. „Wenn ich mit meinem Hund spazieren gegangen bin, habe ich gesehen, wie sich alles verändert.“ Irgendwann war der markante Holzer Wasserturm weg. Borschemich, wo Heukamp zwischen 2000 und 2015 lebte, wurde 2017 dem Erdboden gleichgemacht, mit dem Dorf auch die jahrhundertealte Linde. 2018 rissen Bagger den Immerather Dom mit seinen zwei Türmen ab. „Da bin ich früher oft in die Kirche gegangen. Vater ist da beerdigt worden“, erzählt Heukamp. Die marmorne Grabplatte der Familie hat er retten können, sie lehnt an seinem Haus, umrahmt von zwei Jochen. Aus Lützerath will er nicht weichen.
Heukamp kämpft juristisch gegen seine Enteignung durch den Energiekonzern RWE an, zurzeit wartet er auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster über seine Beschwerde gegen die sogenannte vorzeitige Inbesitznahme, die dem Konzern gerichtlich zugesprochen wurde. Lehnt das Gericht die Beschwerde ab, könnte RWE Lützerath schon vor dem Ende des eigentlichen Enteignungsverfahrens abreißen.
Heukamps Widerstand ähnelt dem des Landwirts Josef Maas am Niederrhein. Maas hatte einen Bauernhof in Hönnepel bei Kalkar. Seit den späten 1960er-Jahren hatte Maas einen erbitterten Kampf gegen den Schnellen Brüter geführt, das Atomkraftwerk, das in seiner unmittelbaren Nachbarschaft gebaut wurde. Durch seinen zähen Widerstand gegen das Projekt wurde der eigentlich stockkonservative Landwirt zu einer Galionsfigur der Anti-Atombewegung. Der Schnelle Brüter wurde zwar gebaut, ging aber nie ans Netz.
Zwei Welten haben in Lützerath zusammengefunden
Heute singen Anti-Kohleaktivisten Lieder auf Eckhardt Heukamp. „Das Verhältnis mit den Aktivisten ist gut“, sagt er. Die Anti-Kohle-Kämpfenden sorgen für mediale Aufmerksamkeit, die hohen Kosten für die Verfahren gegen RWE zahlen zum Teil Organisationen, allein könnte der Landwirt das gar nicht stemmen. Die Aktivisten brauchen ihn als Symbolfigur. Er war immer da, das hier ist seine Heimat, und in diesem Kampf dienen auch solche Begrifflichkeiten, die mancher Aktivist vielleicht ansonsten als spießig bezeichnen würde, als gute Argumente.
Es sind aber zwei Welten, die da in Lützerath zusammengefunden haben. Die jungen Leute, die in dicken Jacken und schlammverkrusteten Stiefeln an der Scheune vorbei an den alten Eichen zu ihrem Camp laufen, wollen nichts weniger als die Revolution. Sie wollen neben dem Kohleabbau auch das Patriarchat, den Kapitalismus und Grenzen abschaffen, streiten gegen die Ausbeutung des globalen Südens, diskutieren darüber, ob weiße Menschen Rasta-Zöpfe tragen dürfen oder ob das rassistisch ist, kochen veganes Essen und sprechen von sich als Aktivistis, um keine Person auszuschließen, die sich nicht als männlich oder weiblich definiert.
Heukamp hingegen will vor allem einfach bei seinen Maschinen auf seinem Hof bleiben können und auch in Zukunft mit seinen Freunden vom Stammtisch vor seiner Haustür grillen und kickern können, mit dem Kickertisch, den er mit einer Plane bedeckt hat, weil ständig eine Eule von einem Querbalken darüber ihr Geschäft verrichtet.
So sehr er auch die handwerklichen Fähigkeiten der Aktivisten respektiert und ihren Durchhaltewillen, der sie für den Kampf gegen die Kohle in der eisigen Kälte draußen ausharren lässt – manchmal ist er doch irritiert. Als bei einem Aktionstag Anfang Januar nicht nur ein großes gelbes X, das Symbol des Widerstands, vor seinem Hof aufgerichtet wurde, sondern auch das Nachbarhaus von Vermummten besetzt wurde, hat ihn das gestört. „Das sind problematische Aktionen. Wir haben gesagt, wir wollen friedlichen Widerstand leisten, damit wir der anderen Seite keinen Anpack bieten.“
Kürzlich hat sich auf der Wiese ein Lastwagen der Aktivisten festgefahren, den er mit seinem Traktor freischleppen musste, das hat Heukamp geärgert. „Ich hatte klar gesagt, keine Fahrzeuge auf der Wiese.“ Eine Wiese werde nicht gepflügt, fahre ein Fahrzeug darüber, verdichte sich der Boden. „Die Spuren kriegt man nicht mehr raus.“
Heukamp sagt: „Boden ist nicht gleich Boden“
Konventionelle Landwirtschaft, wie sie Heukamp betreibt, ist in ihrer Szene eigentlich ein Feindbild. „Man muss eben düngen“, sagt der 57-Jährige lakonisch und zuckt mit den Schultern. Er kann lange referieren über die explodierenden Preise für Düngemittel, über Schädlingsbekämpfung, über Fruchtfolgen, über die Qualität des Bodens hier im Rheinischen Revier, die so viel besser ist, als die in Brandenburg, wo RWE ihm eine Ausgleichsfläche angeboten hatte. „Boden ist nicht gleich Boden.“ Früher bewirtschaftete Heukamp rund 117 Hektar, er baute Rüben, Kartoffeln, Getreide an. Rund 100 Hektar hat er an den Energiekonzern RWE bereits abgetreten.
Im Sommer hat er Weizen abgeerntet. Vielleicht ist es die letzte Ernte gewesen, je nachdem, welchen Beschluss das Oberverwaltungsgericht Münster fällt. „Mir graut ein wenig vor der Entscheidung“. sagt er.