Düsseldorf. Die neue NRW-Integrationsstaatssekretärin Gonca Türkeli-Dehnert über Migranten in der Pandemie, Islamfeindlichkeit und den Doppelpass.
Eigentlich sollte Gonca Türkeli-Dehnert (46) schon vor zehn Jahren Staatssekretärin für Integration in NRW werden. Damals war die Berliner Juristin mit türkischen Vorfahren Mitglied im Schattenkabinett des gescheiterten CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen. Als nun im vergangenen Oktober Serap Güler in den Bundestag wechselte, bezog Türkeli-Dehnert tatsächlich ihr Büro in Düsseldorf. Tobias Blasius führte mit ihr ein erstes Interview nach zweieinhalb Monaten im Amt.
Frau Staatssekretärin, Sie sind in Berlin geboren, haben zwei Jura-Staatsexamen, sind politisch aktiv - und bleiben durch die Herkunft Ihrer Eltern doch auf die Rolle der Integrationsexpertin festgelegt. Nervt das nicht?
Ich habe mir diesen Arbeitsbereich bewusst ausgesucht, weil er mich interessiert und ich ihn sehr wichtig finde. Als Juristin hätte ich mir genauso vorstellen können, in einer internationalen Organisation an den Themen Migration und Asyl zu arbeiten. Natürlich wünsche ich mir, dass sich die Generation meines Sohnes, der heute zwölf ist, irgendwann gar nicht mehr mit Integrationsfragen beschäftigen muss.
Wieviel eigenes Erleben steckt in Ihrer Integrationsarbeit?
Jeder Lebenslauf ist anders. Meine Großmutter ist Anfang der 1960er Jahre als Gastarbeiterin nach Deutschland eingewandert, mein Vater später als ausgebildeter Lehrer nachgekommen. Ich bin in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, habe durch diese gemischte Biografie mit Zuwanderungs- und Akademiker-Hintergrund aber sicherlich nicht die typischen Startbedingungen von Türkischstämmigen meiner Generation gehabt.
Sie waren vor 15 Jahren die erste türkischstämmige Mitarbeiterin des Bundeskanzleramts. Hat es heute eine Gonca noch immer schwerer als eine Emma, in Bewerbungsverfahren Erfolg zu haben?
Es ist leider Fakt, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte noch immer im Bildungssystem und in der Arbeitswelt Diskriminierung erfahren. Ich habe junge Leute kennengelernt, die eine Hauptschul-Empfehlung hatten und später nach Harvard gegangen sind. Und wenn sich jemand, der Ali heißt, mehrfach bewerben muss, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, dann läuft etwas falsch.
Helfen anonyme Bewerbungen weiter?
Die anonyme Bewerbung hilft zwar, dass jemand eingeladen wird, der aufgrund des Fotos oder des anders klingenden Namens ansonsten aussortiert worden wäre. Aber im Bewerbungsgespräch sieht man sich ja dann doch. Ohne ein Umdenken in den Personalabteilungen kommen wir nicht weiter. Personalverantwortliche sollten verstehen, wie wichtig Vielfalt, unterschiedliche kulturelle Erfahrungen und Mehrsprachigkeit für ein Unternehmen genauso wie für den Staatsdienst sind. Diese Sensibilisierung sollten wir als Gesamtgesellschaft vorantreiben.
Migranten werden häufig zu den besonderen Verlierern der Corona-Krise erklärt, weil sie seltener geimpft und häufiger infiziert seien. Stimmt das?
Nein. Der Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die sich nicht impfen lassen wollen, ist unter dem Strich sicherlich nicht höher als in der übrigen Bevölkerung. Ein Beispiel: Anfang Dezember hatten wir im sächsischen Meißen mit einem geringen Ausländeranteil von etwa 3 Prozent eine Corona-Inzidenz von 3.000 und in Köln mit über 19 Prozent eine von 500. In Bremen, wo knapp 40 Prozent Menschen mit Einwanderungsgeschichte leben, gibt es eine bundesweit höchste Impfquote.
Es gibt schon Hinweise darauf, dass Migranten häufiger infiziert sind…
Das hat nichts mit der Herkunft zu tun. Aus meiner Sicht ist das ein sozio-ökonomisches Problem. Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind statistisch jünger, wohnen beengter und arbeiten häufiger in Berufen, in denen Homeoffice nicht möglich ist. Wer in der Pflege, Reinigung oder Paketzustellung arbeitet, hat unvermeidlich mehr Kontakte und nutzt häufiger den öffentlichen Nahverkehr.
Bei „Montagsspaziergängen“ von Impfgegnern und Querdenkern sieht man selten Migranten. Ist deren Loyalität zur staatlichen Krisenpolitik größer als angenommen?
Unser aktueller Teilhabe- und Integrationsbericht zeigt, dass das Vertrauen in Justiz und Polizei bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte ausgeprägter ist als bei der übrigen Bevölkerung. Verschwörungstheorien oder der Glaube, dass staatliche Corona-Maßnahmen andere Ziele verfolgen würden, als die Eindämmung der Pandemie, verfangen viel seltener.
Zuletzt haben Grabschändungen auf dem muslimischen Teil eines Friedhofs in Iserlohn Aufsehen erregt. Wie bewerten Sie den Vorfall?
Mit den Betroffenen in Iserlohn bin ich in Kontakt. Für die Angehörigen ist es ein großer Schmerz, dass die Gräber ihrer Lieben verwüstet sind. Für mich ist der Vorfall ein trauriges Beispiel für anti-muslimischen Rassismus, auch wenn der Staatsschutz noch ermittelt und man die Ergebnisse abwarten muss. Es ist leider auch davon auszugehen, dass in den Statistiken über politisch motivierte Kriminalität insgesamt viele islamfeindliche Straftaten nicht erfasst werden. Betroffene bringen Übergriffe oder Sachbeschädigungen oftmals nicht zur Anzeige.
Was können Sie gegen die Dunkelziffer tun?
Wir wollen neben der Meldestelle Antisemitismus, die in diesem Jahr ihre Arbeit aufnimmt, neue Meldestellen für anti-muslimischen Rassismus, für Antiziganismus, anti-schwarzen und anti-asiatischen Rassismus sowie für Queer-Feindlichkeit aufbauen. Diese wollen wir in den Gemeinden und Vereinen einrichten, wo die Menschen besonderes Vertrauen haben. So bekommen wir einen genaueren Einblick und können noch zielgerichteter unterstützen.
Die Ampel-Bundesregierung will den Doppelpass für Migranten erleichtern. Der richtige Weg?
Gerade für die erste Gastarbeiter-Generation ist die doppelte Staatsangehörigkeit ein emotionales Thema. Unser gesamtes globalisiertes Leben – von der Ehe bis zum Arbeitsleben – ist viel binationaler geworden, deshalb sollten wir uns aus meiner Sicht beim Staatsangehörigkeitsrecht weiterentwickeln.