Essen. In NRW steigt der Anteil der Pflegekräfte, die für Zeitarbeitsfirmen arbeiten. Branchenkenner sprechen von einem Symptom der Arbeitsbedingungen.
Im zweiten Pandemiejahr gewinnt der Einsatz von Zeitarbeitskräften in Kliniken und Altenheimen in NRW zunehmend an Bedeutung.
Die zur kurzfristigen Überbrückung von Engpässen gedachten Fachkräfte seien ein dauerhafter Baustein in der Sicherung der Versorgung, heißt es etwa vom Universitätsklinikum Essen. „Ohne sie wäre es beispielsweise aktuell nicht möglich, die Intensivmedizin auf dem Niveau zu betreiben, wie wir es zur Versorgung unserer Patientinnen und Patienten und als größtes Corona-Zentrum in NRW benötigen.“
Anteil der Zeitarbeitskräfte steigt
Nach Angaben der Agentur für Arbeit ist die Zahl der Leiharbeiter in der Alten- und Krankenpflege in NRW entgegen dem landesweiten Trend gestiegen. Demnach gab es im März 2021 in NRW 3660 Altenpflegekräfte, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt worden sind – ein Plus 31 Prozent im Vergleich zu März 2019. In der Krankenpflege waren 5447 Leiharbeiter beschäftigt, knapp 20 Prozent mehr als vor zwei Jahren.
Im selben Zeitraum ist der Markt für Zeitarbeitskräfte landesweit um sechs Prozent geschrumpft. Inzwischen sind 2,6 Prozent der Altenpflegekräfte „ausgeliehen“ – das entspricht dem branchenübergreifenden Anteil der Zeitarbeit an allen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Land.
Verband: Noch immer ein Randphänomen, aber Bedarf wächst
Christian Baumann, Bundesgeschäftsführer des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, geht dennoch nicht so weit, von einem Boom zu sprechen. „Wir spüren deutlich, dass sich der Bedarf in den Einrichtungen durch die vielen pandemiebedingten Ausfälle heftig entwickelt hat. Insgesamt ist Zeitarbeit in der Pflege aber noch ein Randphänomen.“
Zeitarbeit sorgt in der von Fachkräftemangel geprägten Pflege immer wieder für Diskussionen, weil Beschäftigte oft mit höheren Löhnen und mehr Freiheiten angeworben werden. Zugleich steigen in den Kliniken und Heimen Personalkosten, denn Zeitarbeit ist teuer. Zuletzt 2020 gab es im Bundesrat die Initiative, die Pflege-Leiharbeit einzudämmen - Berlin hatte das angestoßen.
Berufsverband sieht in Zeitarbeit „ein Symptom“
Martin Dichter, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest, sieht in der Zunahme von Leiharbeit „ein Symptom grundsätzlich schlechter Arbeitsbedingungen“ in der Pflege. Faktoren wie unzuverlässige Dienstpläne, häufiges Einspringen „aus dem Frei“, viele Überstunden, Zeitdruck, geringe Wertschätzung seitens der Führung und eine Bezahlung, die weder leistungs- noch verantwortungsgerecht sei, drängten Beschäftigte in die Leiharbeit. Insofern berge das Thema Leiharbeit auch die Chance, auf besser Arbeitsbedingungen zu verweisen.
SPD-Gesundheitsexperte Josef Neumann hingegen warnt vor einem Zwei-Klassen-System in der Pflegebelegschaft und eine höhere Arbeitsbelastung des Stammpersonals durch den Einsatz von Leiharbeitskräften, die Arbeitsabläufe der verschiedenen Stationen oft nicht kennen, aber häufig mehr Freiheiten bei Dienstplänen haben und mehr verdienen. „Wir fordern einen Neustart in der Gesundheits- und Pflegepolitik“, so Neumann – mit einer besseren Personalbemessung und langfristig der 35-Stunden-Woche in der Pflege.