Düsseldorf. Mit Notverstärkungen soll die Talbrücke wieder befahrbar werden - aber nicht für Lastwagen. Wie es auf der “Sauerlandlinie“ weitergeht.

Elfriede Sauerwein-Braksiek ist eine Ingenieurin, die in einprägsamen Bildern die Dramatik statischer Probleme veranschaulichen kann. Am Mittwochnachmittag lässt die westfälische Direktorin der Bundesautobahngesellschaft mit dieser Gabe den Verkehrsausschuss des Düsseldorfer Landtags frösteln.

Bei der A45-Talbrücke „Rahmede“ bei Lüdenscheid verhalte es sich gerade wie mit zwei Cola-Dosen, erklärt Sauerwein-Braksiek den Abgeordneten. Sind die Außenwände in Ordnung, kann man sich auf die Büchsen stellen. Doch schon ein kleiner Knick raubt jede Stabilität, bringt alles zum Einsturz.

Noch ist die A45-Brücke gottlob nicht eingestürzt. Doch seit vergangenem Donnerstag ist sie nicht mehr befahrbar. Am Stahlträgerwerk waren heftige Verformungen festgestellt worden. Der Verkehr musste sofort umgeleitet werden, um keine Katastrophe zu riskieren. Seither befindet sich Lüdenscheid im Ausnahmezustand.

Ausweichverkehr verstopft ganz Lüdenscheid

Der Ausweichverkehr habe die städtischen Netze zusammenbrechen lassen, berichtet der aus Lüdenscheid stammende SPD-Abgeordnete Gordon Dudas. Alle Wege seien verstopft. Lastwagen walzten sich pausenlos durch die Stadt. Selbst für Krankenwagen gebe es kein Durchkommen mehr. „Es ist eine Katastrophe“, stöhnt Dudas.

Die neue NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU), erst fünf Wochen im Amt, ist gleich als Krisenmanagerin mit einer Riesenherausforderung konfrontiert. „Ich muss Ihnen die Bedeutung der A45 als eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen im deutschen Autobahn-Netz nicht erklären“, sagt sie. Die „Sauerlandline“ sei eine „neuralgische Stelle“ in Deutschland. Sie gilt überdies als Lebensader des wirtschaftlich starken Südwestfalen.

Die Talbrücke hat ausgerechnet in einem Moment nachgegeben, in dem gerade diese Region noch unter den Infrastrukturschäden des Jahrhundert-Hochwassers vom Juli ächzt. Auch die für Pendler wichtige Regionalbahn zwischen Lüdenscheid und Dortmund ist gestört. Schnelle Abhilfe ist nicht zu erwarten. Man werde nun an „Notverstärkungen“ für die Brückenträger arbeiten, erklärt die Autobahngesellschaft. Das kann drei bis vier Monate dauern – bei guter Witterung. Und nach den Ausbesserungen sei die Brücke allenfalls noch für Pkw zu befahren.

Jetzt sollen Notverstärkungen her - und ein Schrankensystem

Sauerwein-Braksiek kündigt ein Schrankensystem an, das dann LKW an der Überfahrt hindern werde. Das kennt man schon von der maroden Leverkusener A1-Rheinbrücke, die bereits 2012 unter bundesweiter Medienbeobachtung gesperrt wurde. Damals musste sich SPD-Verkehrsminister Michael Groschek, genannt: Mike, noch von der oppositionellen CDU den Spott gefallen lassen, er errichte einen „Checkpoint Mike“. Über Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wurde gelacht, weil auch ihre schwere Dienstlimousine die Rheinquerung nicht mehr befahren durfte.

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass für die marode Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen nicht exklusiv eine Partei verantwortlich zu machen ist. „Die Brücken sind die Achillesferse in unserer Straßeninfrastruktur“, erklärt Sauerwein-Braksiek. Vor allem die Bauwerke aus den 1960er Jahren, zu denen auch die A45-Brücke gehört, bereiteten immer größere Probleme. „Rahmede“ war einmal für 25.000 Fahrzeuge am Tag gedacht, zuletzt befuhren sie 65.000 – davon 13.000 Lastwagen, deren heutige Achslast man sich vor Jahrzehnten noch gar nicht vorstellen konnte.

Ganz überraschend kommen die Zwänge nicht. Die Talbrücke steht schon seit Jahren auf der Sanierungsliste von Bund und Land. Doch das Tempo des Verfalls hat offenbar auch die Fachleute kalt erwischt. Grünen-Verkehrsexperte Arndt Klocke kritisierte, dass die Große Koalition und die schwarz-gelbe Landesregierung zuletzt das Augenmerk auf Straßenneubau anstatt auf Erhalt der Infrastruktur gelegt habe: „Dass dies eindeutig der falsche Weg ist, kann man an der aktuellen Situation der A45 sehen.“

A45-Brücke ist wohl schlimmer als Rheinbrücken-Debakel

Jetzt hat es Neu-Verkehrsministerin Brandes nicht nur mit der westfälischen Neuauflage des Leverkusener Brücken-Debakels zu tun. Die Lage ist sogar weitaus komplizierter. Die 435 Meter lange Brücke überspannt ein Tal mit viel Wald, das Sauerwein-Braksiek „fast alpines Gelände“ nennt. Die Umleitung des Verkehrs ist ebenso anspruchsvoll wie die Planung eines Ersatzbaus, der selbst ohne langwierige Rechtsstreitigkeiten viele Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Weiträumig aufgestellte Hinweistafeln sollen jetzt erst einmal Lüdenscheid aus dem akuten Verkehrschaos befreien. Ausweichstrecken führen über die A44/A7 Kassel/Frankfurt und über die A3 Richtung Köln. Sauerwein-Braksiek räumt ein, dass sie damit nur den Kollaps in einem erschreckend maroden Netz ein wenig verlagern kann: „Die A3 ist heute schon extrem belastet, dadurch dass die Rheinbrücke gesperrt ist.“