Bielefeld. Willkommen in der “Parallel-CDU“: Die Landespartei sucht in Abgrenzung zum Berlin-Debakel Geschlossenheit und stärkt die neue Nummer 1.

Die Stadthalle in Bielefeld ist normalerweise ein Veranstaltungsort in Hauptbahnhof-Nähe, an diesem Samstag jedoch fungierte sie vor allem als Heimstatt einer „Parallel-CDU“. Einen Monat nach dem Bundestagswahl-Debakel der Union vollzog die nordrhein-westfälische Landespartei ihren Führungswechsel in einer ganz eigenen Stimmungswelt: Häme, Hader und Uneinigkeit der Bundespartei ließen die Parteifreunde in NRW einfach nicht an sich heran. Sticheleien, Machtkämpfe und Kursdebatten sollten weit weg bleiben in Berlin.

„Wir sind anders. Wir sind einig, geschlossen und stark“, formulierte es beschwörend Verkehrsminister Hendrik Wüst, der dem gestrauchelten Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Vorsitz der Landespartei und im Ministerpräsidenten-Amt folgt. Die Partei stattete ihn mit einem sensationellen Ergebnis von 98,3 Prozent aus. 645 Ja-Stimmen, 11 Gegenstimmen, keine Enthaltung. Der 46-jährige Wüst sprach von einem „gigantischen Ergebnis“ und Vorschusslorbeeren, die er rechtfertigen wolle.

Die Deutlichkeit des Ergebnisses war kaum zu erwarten

Diese Deutlichkeit war kaum zu erwarten. Vor allem gemessen daran, dass Wüst nie ein Parteidarling war, als Generalsekretär vor über zehn Jahren nicht den besten Ruf genoss und potenzielle Konkurrenten wie der populäre NRW-Innenminister Herbert Reul oder Heimatministerin Ina Scharrenbach nur mit Mühe von einer Gegenkandidatur abgebracht werden konnten. Die Sehnsucht nach Geschlossenheit war nach den Demütigungen der letzten Wochen eben groß.

Wüst wanderte bei seiner Bewerbungsrede zwar mit offenem Hemdkragen und Headset über die Bühne. Doch der eher westfälisch bedächtig, mit Pausen formulierende Münsterländer ist kein Einpeitscher und auch kein heiterer Redner wie Laschet. Wüst verordnete der NRW-CDU vielmehr leise Demut: „Wir müssen offen sein und zuhören.“ Die Landtagswahlkampagne soll mit „Du zählst“ überschrieben werden, was ein bisschen nach „Respekt“ des künftigen SPD-Kanzlers Olaf Scholz klingt. „Wir haben Lust auf Regieren, wir haben Lust auf Zukunft“, sagte Wüst.

Umfragen sind sieben Monate vor der Landtagswahl katastrophal

Die Umfragen sind sieben Monate vor der Landtagswahl katastrophal. Die SPD könnte nach dem Erfolg im Bund vor allem im Ruhrgebiet zu alter Stärke zurückfinden. Wüst beschwor die Regierungserfolge von CDU und FDP seit dem überraschenden Wahlsieg Laschets von 2017 und setzt nach seiner geplanten Kür zum Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch auf ein personelles und programmatisches Weiter-so. Man will sich Abkoppeln von der Entwicklung der CDU in Berlin. Irgendwie.

Den Ton des Tages hatte der scheidende Chef gesetzt. Laschet hatte sich zuvor mit einer langen Laudatio in eigener Sache aus dem Amt verabschiedet. Er bilanzierte überraschend aufgeräumt seine exakt 3402 Tage im Vorsitz der NRW-CDU als eine Art Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern der Landtagswahlpleite von 2012. Er verschenkte ausreichend Lob an seine Ministerriege, verortete NRW dank seiner Arbeit auf der Überholspur aller Bundesländer und präsentierte die Landespartei als Gegenentwurf zum aktuellen Erscheinungsbild der Union. Laschet verdichtete sein Wirken in NRW zu einer Erzählung aus Teamgeist, Vertrauen und Kompromissfähigkeit. Genau das, was ihm in der Union der vergangenen Monate nicht vergönnt war.

Laschet hatte versöhnlich Bilanz gezogen

Es funktionierte, gemessen an der desaströsen Lage der Partei, ganz gut. Laschets freundlich-plaudernder Redestil und seine entwaffnende Ironie, die in kleinen Sticheleien gegen Söders Bayern zuweilen Grenzen zur Büttenrede auslotete, kommt in der NRW-CDU selbst nach seinem Höllensturz noch gut an. Die Stimmung hatte an diesem Tag einfach besser zu sein als die Lage. Weshalb die Delegierten auch kräftig klatschten, als Laschet eine Spitze gegen seinen im Publikum sitzenden Tandempartner a.D. Jens Spahn setzte: Dessen Analyse, die CDU befinde sich in der größten Krise ihrer Geschichte, wischte er weg: „Tassen im Schrank lassen“. Es bringe nichts, fand Laschet, das Drama nach der Bundestagwahl auch noch „riesig zu bemalen“.

Sein Vermächtnis schärfte er dem Landesverband auch noch ein. „Bewahrt Euch diese Geschlossenheit“. Und: „Nicht in Populismus und Ressentiments verfallen“. Loblieder und minutenlanges, rhythmisches Klatschen nahm Laschet am Ende seiner Bilanzrede sichtlich erfreut, aber doch routiniert entgegen. Er wusste wohl, dass es für lange Zeit die letzte warme Dusche sein dürfte.