Essen. Hendrik Wüst soll die Laschet-Nachfolge in NRW-CDU und Landesregierung antreten. Hier erklärt er, was er mit Partei und Land vorhat.

Hendrik Wüst ist auf dem Sprung nach ganz oben: Am Samstag soll der NRW-Verkehrsminister zum neuen CDU-Landesvorsitzenden gewählt werden, kommenden Mittwoch dann zum Nachfolger Armin Laschets als Ministerpräsident. Wüst hat sich in diesen entscheidenden Tagen medial rar gemacht, nahm sich nun aber zwei Stunden Zeit für den Besuch der Zentrale der Funke Mediengruppe in Essen. Das Interview führten WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und Landeskorrespondent Tobias Blasius.

Herr Minister Wüst, warum wollen Sie Landesvorsitzender eines „insolvenzgefährdeten Sanierungsfalls“ werden?

Diese sicher bewusst überspitzte Formulierung hat Friedrich Merz auf das gegenwärtige Erscheinungsbild der Bundes-CDU bezogen. Das Bundestagswahlergebnis ist zweifellos ein deutlicher Weckruf, auf Bundesebene schnell wieder schlagkräftig zu werden. Die nordrhein-westfälische Landespartei ist anders. Wir sind gut aufgestellt: Wir arbeiten hier in einer gut funktionierenden Nordrhein-Westfalen-Koalition, verstehen uns in der Landesregierung als Team und stützen uns auf eine Landtagsfraktion, die sehr nah an den Sorgen der Menschen ist. Das alles ist vor allem ein Verdienst von Armin Laschet.

Wie konnte Laschet die gefühlte Kanzlerpartei CDU in Berlin dennoch so rasant in den Abgrund reißen?

Wahlen gewinnt man zusammen und Wahlen verliert man zusammen. Es wäre falsch und gefährlich, die gesamte Verantwortung für das Bundestagswahlergebnis bei Armin Laschet abzuladen. Das würde zum Irrglauben verleiten, mit einer neuen Führung wäre alles wieder in bester Ordnung. Die späte Entscheidung für den Parteivorsitz erst Anfang dieses Jahres und die späte Entscheidung in der K-Frage, vor allem aber die Uneinigkeit, – all das gehört zur Schadensbilanz dazu. Das haben wir hier in Nordrhein-Westfalen besser gemacht, dadurch, dass Armin Laschet den Übergang moderiert hat. Das ist schon heute ein entscheidender Unterschied. Ich bin außerdem der Auffassung, dass sich die CDU während der langen Kanzlerschaft Angela Merkels zu stark allein über das Regierungshandeln definiert hat.

"Die Partei muss neben der Regierung lebendig bleiben"

Wie meinen Sie das?

Die Partei muss neben der Regierung lebendig bleiben und offen sein für die Alltagssorgen der Menschen. Wir regieren gut in Nordrhein-Westfalen – und haben uns diese Offenheit erhalten. Auf Bundesebene muss die CDU wieder stärker programmatisch arbeiten und klarer christdemokratische Antworten auf die Fragen der Zeit geben. Wenn zum Beispiel das Wohnen immer teurer wird, reicht es nicht aus, unsere Ablehnung einer Mietpreisbremse ordnungspolitisch sauber zu argumentieren. Die Leute wollen wissen, was denn die CDU dagegen tut.

Was schwebt Ihnen da konkret vor?

Unsere Bauministerin Ina Scharrenbach verfolgt den absolut richtigen Ansatz, viele Kostentreiber beim Bauen zu hinterfragen, um so das Wohnen billiger zu machen. Ich lebe in der Nähe der niederländischen Grenze und weiß, dass unsere Nachbarn gute Wohnungen ohne deutschen Bürokratie-Goldstandard deutlich billiger bauen können. Im Wahlprogramm stand ein Mietkaufmodell, damit junge Familien Wohneigentum schaffen können. Aber im Wahlkampf haben wir das nicht zum Thema gemacht. Ich wünsche mir, dass die CDU wieder mutiger und kreativer Politik aus den Alltagsnöten der Menschen ableitet. Das brauchen wir auch bei der Vereinbarkeit von guter Arbeit, bezahlbarer Energie und flexibler Mobilität mit den Erfordernissen des Klimaschutzes.

Ihnen bleibt bis zur Landtagswahl im Mai 2022 nicht viel Zeit, in Ihre neuen Aufgaben zu wachsen. Was wird Ihre erste Amtshandlung als Chef der NRW-CDU sein?

Wir arbeiten direkt am Wahlprogramm und gehen bei diesem Prozess auch auf Menschen außerhalb der Partei zu. Der breite Blick schärft, und eine frühzeitige Vorbereitung der CDU für die Landtagswahl ist zentral für unseren Erfolg. Wir werden nicht einfach nur für eine gute Regierungsbilanz wiedergewählt, sondern müssen auch Antworten auf die drängenden Fragen der Menschen geben.

"Die CDU braucht keine Selbstbeschäftigung"

Wie stark können und wollen Sie als neuer Chef der NRW-CDU in den Führungsstreit auf Bundesebene eingreifen — schließlich kommen alle Aspiranten auf die Laschet-Nachfolge aus Ihrem Landesverband?

Die CDU Deutschlands braucht keine Selbstbeschäftigung. Wir werden die personelle Neuaufstellung gründlich beraten und dann zügig entscheiden.

Was halten Sie von einer Mitgliederbefragung?

Das Verfahren zur personellen Neuaufstellung der Bundespartei klären die Kreisvorsitzenden in einer Konferenz Ende nächster Woche. Dem will ich nicht vorgreifen. Klar ist für mich unabhängig von Personen: Der Neuanfang beginnt im Umgang miteinander. Es hat vielen Parteimitgliedern in der Seele weh getan, wie unsolidarisch einige in der Führung der Union zuletzt gegeneinander gearbeitet haben. Allen sollte klar sein: Wir haben vielleicht die Bundestagswahl verloren – aber nicht den Anstand. Haltung statt Spaltung – das braucht die Union.

Sie spielen auf CSU-Chef Söder und seine Sticheleien gegen Laschet an?

Ich finde, dass CDU und CSU künftig wenigstens einmal im Jahr gemeinsam mit ihren Vorständen tagen sollten. Wir brauchen neben der gemeinsamen Bundestagsfraktion eine weitere Klammer, um mit der Schwesterpartei wieder zusammen zu kommen. CDU und CSU waren am Ende immer eine starke Verbindung, müssen aber jetzt an ihrer Beziehung arbeiten: lieber zum Paartherapeuten als zum Scheidungsanwalt.

CDU und CSU sollen einmal im Jahr gemeinsam tagen

In Berlin ist eine gewisse Ampel-Euphorie spürbar. Droht Ihnen auch in NRW die FDP als natürlicher Koalitionspartner abhanden zu kommen?

Wir arbeiten mit der FDP seit über vier Jahren verlässlich zusammen und haben uns nie als verlängerte Werkbank einer Bundesregierung verstanden. Ich respektiere die professionell organisierten Ampel-Sondierungen, vermute aber, dass der Zauber des Neuanfangs schnell verfliegen könnte, weil die Finanzierungsfragen ungelöst sind. Ein vorzeitiger Kohleausstieg 2030 wird viele Beschäftigte hart treffen. Wir werden Anwalt dieser Menschen sein und die soziale Frage in den Regionen im Blick halten. Und eine Abschaffung der Pendlerpauschale wäre für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor allem im ländlichen Raum fatal. Die Kosten für Mobilität dürfen nicht zur neuen sozialen Frage werden.

Die NRW-FDP hat eine Absenkung der Grunderwerbsteuer und eine Entschärfung des umstrittenen Versammlungsrechts zu einer Art Bedingung für Ihre Wahl zum Ministerpräsidenten kommende Woche gemacht. Haben Sie schon eingeschlagen?

Wir haben bislang noch jedes Thema in der Koalition zu einer guten Lösung gebracht, und das wird auch bei diesen beiden Punkten so sein. Aus den Ampel-Gesprächen hört man: Bei der Absenkung der Grunderwerbssteuer soll es Spielräume für die Länder geben. So haben wir es immer gefordert. Wenn wir diese Lösung im Detail kennen, werden wir damit umgehen. Beim Versammlungsrecht wird uns der Interessenausgleich zwischen dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit und praktikablen Regeln für unsere Polizistinnen und Polizisten im Umgang zum Beispiel mit Aufmärschen von Verfassungsfeinden gelingen. Das hat beim Polizeigesetz geklappt. Das klappt auch hier.

"Auf die Geschlossenheit von CDU und FDP kann ich vertrauen"

Wen werden Sie als neuen Generalsekretär der NRW-CDU vorschlagen?

Ich möchte gerne mit Josef Hovenjürgen weiterarbeiten, der in unserer Partei sehr beliebt ist und weiß, was die Mitglieder bewegt.

Werden Sie mit der Regierungsmannschaft von Laschet weiterarbeiten?

Wir werden die gute Arbeit für das Land mit dem starken Team, das bisher gut gearbeitet hat, fortsetzen. Es wird natürlich eine Nachbesetzung des Verkehrsressorts geben und bei zwei offenen Staatssekretärsposten auch.

Schwarz-Gelb hat im Landtag nur eine Stimme Mehrheit. Wie groß ist Ihre Angst vor Abweichlern?

Alle in der Nordrhein-Westfalen-Koalition wollen die erfolgreiche Arbeit fortsetzen, und wir hatten viereinhalb Jahre bei jeder Abstimmung unsere Mehrheit. Die Fraktionsvorsitzenden Bodo Löttgen und Christof Rasche machen einen tollen Job. Auf die Geschlossenheit von CDU und FDP kann ich vertrauen. Das tue ich auch.