Düsseldorf/Idar-Oberstein. Entsetzen über tödliche Attacke gegen einen Tankstellen-Kassierer in Rheinland-Pfalz. Experten warnen vor Radikalisierten.

Nach der tödlichen Attacke auf einen Tankstellen-Kassierer in Rheinland-Pfalz mehren sich die Stimmen, die vor gewaltbereiten Corona-Leugnern warnen. „Mich erschüttert der furchtbare Mord an einem jungen Mann, der nur darum bat, die geltenden Regeln zu befolgen, umsichtig und solidarisch zu sein“, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Dienstag.

In Idar-Oberstein hatte ein 49-jähriger Deutscher am Wochenende offenbar aus Ärger über die Maskenpflicht in einer Tankstelle einen 20-jährigen Kassierer erschossen. Den Ermittlern zufolge habe sich der Täter durch die Corona-Pandemie belastet gefühlt. Der Beschuldigte habe ausgesagt, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne.

Gewaltforscher: Radikalisierung schreitet voran

Der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick erneuerte angesichts der Bluttat seine Warnung vor gewaltorientierten Corona-Protesten. Hinweise für eine Radikalisierung habe es schon seit dem letzten Jahr gegeben. „Die Feindbilder der Corona-Proteste wurden immer stärker aggressiv aufgeladen, bei den Protesten wurde immer mehr Gewalt, zunehmend auch gegen Polizei und Journalisten ausgeübt“, sagte Zick dieser Redaktion. „Die Ideologie, dass sich die Bewegung im Widerstand gegen ein System befindet, wurde immer stärker.“

Zwar handele es sich in Idar-Oberstein um einen Einzeltäter, aber auch diese würden sich meist auf eine Szene beziehen, der sie sich zuordnen, erklärt Zick. Der Täter habe zu Protokoll gegeben, dass er wegen der Gesamtsituation gemordet habe. „Das allein drückt schon aus, dass er sich als Vertreter einer Gruppe versteht und für andere handelt, mit denen er die Ideologie teilt.“

Kriminologe: Ein kleiner Teil der Gesellschaft radikalisiert sich immer mehr

Der Bochumer Kriminologe Prof Tobias Singelnstein legt Wert auf die Feststellung, dass man derzeit nur wenig über den Täter wisse. Die Gesellschaft sei in der Pandemie insgesamt nicht gewalttätiger geworden. Es gebe aber „einen kleinen Teil der Gesellschaft, der sich in der Ablehnung der Corona-Maßnahmen stark radikalisiert hat. Das ist ein durchaus diverses Milieu mit oft rechten, teilweise aber auch diffusen Motiven.“

Laut Singelnstein ging zuletzt der „Bewegungscharakter“ der Corona-Leugner verloren. „Es ist denkbar, dass einige dieser Radikalisierten nun sagen: Wenn sich die Bewegung totläuft, greife ich zu anderen Mitteln.“

Polizeigewerkschaft GdP warnt vor schnellen Interpretationen der Tat

Die Gewerkschaft der Polizei in NRW (GdP) riet zur Vorsicht bei der Einordnung dieser Gewalttat. „Das ist ein schlimmer Extremfall“, sagte GdP-Vize-Landeschef Michael Maatz dieser Zeitung. „Diese Tat ist nicht symptomatisch für die Gesellschaft in der Pandemie. Der größte Teil der Bevölkerung hält sich an die Regeln und ist solidarisch“, so Maatz.