Düsseldorf. Eine „2G-Regel“ wird in NRW wahrscheinlicher. Die Landesregierung erwägt härtere Regeln für den Fall einer „Pandemie der Ungeimpften“.

Der Ruf nach einer „2G-Regel“ im Kampf gegen das Coronavirus, also nach einem Zutritt zu Veranstaltungen, Gastronomie oder sogar zum Arbeitsplatz nur für Geimpfte und Genesene, wird auch in NRW lauter. Nachdem sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für ein bundesweit einheitliches „2G-Optionsmodell“ ausgesprochen hat, bei dem Veranstalter den Zutritt freiwillig auf Geimpfte und Genesene beschränken können, steigt der Druck auf die Landesregierung deutlich. Zumal inzwischen mehrere Bundesländer in unterschiedlicher Form mit „2G“ experimentieren.

„Wir müssen zu einem einheitlichen System für die Gastro- und Veranstaltungsbranche kommen. Wenn wir die 2G-Regel landesweit zum Standard machen, würde das den Infektionsschutz in Innenräumen nachweisbar erhöhen und Betreibern Planungssicherheit geben“, sagte NRW-Grünen-Chef Felix Banaszak dieser Redaktion. Es müsse aber Ausnahmen geben für Kinder unter zwölf Jahren und Menschen, die sich nicht impfen lassen können.

Städtetag NRW: "Wir brauchen eine 2G-Regelung"

„Wenn wir weitere Freiheiten ermöglichen möchten, dann müssen wir über 2G nachdenken“, sagte Helmut Dedy, Geschäftsführers des Städtetags NRW, dieser Zeitung. „Warum soll es nicht möglich sein, etwa in einem Theater nur Geimpfte und Genesene einzulassen? So können alle Sitzplätze belegt werden und sich die Gäste ohne Maske in den Räumen aufhalten. Wir brauchen auch in NRW eine 2G-Regelung“, so Dedy.

Rechtlich wären strengere Zutrittsregeln wohl kein Problem, meint der Bochumer Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster. „Wer sich nicht gegen Corona impfen lassen will, muss Nachteile durch die 2G-Regel in Kauf nehmen, sagt Huster. Die Landesregierung könne „2G“ landesweit erlassen, wenn sie zugleich deutlich mache, dass dadurch das Infektionsrisiko bei Veranstaltungen und in Betrieben gemindert werde.

Arbeitgeber mahnen zu Vorsicht bei strengeren Regeln

Zu Vorsicht in dieser Frage mahnen sowohl Arbeitgeber als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in NRW. Solange keine Überlastung des Gesundheitssystems drohe, seien keine neuen Einschränkungen angezeigt, so Johannes Pöttering, Geschäftsführer der NRW-Unternehmerverbände. DGB-NRW-Chefin Anja Weber lehnt einen Zwang zu „2G“ am Arbeitsplatz ab.

Die NRW-Landesregierung zögert weiter mit der Einführung von „2G“. Das Gesundheitsministerium erklärt, dass Kommunen heute schon in Absprache mit der Regierung strengere Regeln erlassen könnten. Die Regierung lässt aber eine Tür zu „2G“ offen: Sollte im Herbst die „Pandemie der Ungeimpften“ kommen, könnten für diese Menschen „neue Schutzmaßnahmen“ erforderlich werden. Hier ein Überblick über die verschiedenen Standpunkte.

Die Regierung

Kreise und kreisfreie Städte könnten schon heute – in Rücksprache mit Gesundheitsministerium - strengere Regeln als die der Coronaschutzverordnung erlassen, heißt es in diesem Ministerium. Auch hätten private Veranstalter heute schon die Möglichkeit, in ihrer Verantwortung den Zugang zu beschränken, etwa durch „2G“. Anders als zum Beispiel in Hamburg seien mit „2G“ hierzulande aber keine Erleichterungen bei den Schutzmaßnahmen, zum Beispiel bei den Abstandsregeln, verbunden. Die Landesregierung betont, dass „2G“ nicht auf Kinder und Jugendliche angewendet werden könne, dass aber „ausgerechnet in dieser Gruppe“ hohe Inzidenzen vorliegen.

Die NRW-Regierung wagt noch keine Prognose, ob eine neue Corona-Schutzverordnung strengere Regeln vorsehen könnte. Die alte Verordnung endet am 8. Oktober. Dass „2G“ möglich werden könnte, lassen Sätze wie diese erahnen: „Nach allen Prognosen von Expertinnen und Experten stehen nicht geimpften Menschen im Herbst besondere Gefährdungen bevor. Wenn wir dann die von vielen vorhergesagte ‚Pandemie der Ungeimpften‘ bekommen, können für diese Personen neue Schutzmaßnahmen erforderlich werden.“ Ein umfassender Lockdown gegenüber Genesenen und Geimpften erscheine derzeit weder geboten noch durchsetzbar.

Die Opposition

Man müsse jetzt alles tun, um die Impfquote zu erhöhen, meint NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty. Mit der 2G-Regel bei privaten Veranstaltungen gebe es dafür „einen zusätzlichen Anreiz“. Sie sei „ein wichtiger Beitrag, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und gleichzeitig das soziale und wirtschaftliche Leben aufrechtzuerhalten.“ Kutschaty schränkt aber ein: „Niemand kann dazu gezwungen werden, sich impfen zu lassen. Deshalb müssen auch Ungeimpfte weiter die Möglichkeit haben, durch einen negativen Test am gesellschaftlichen Alltag im öffentlichen Raum teilzunehmen.“

Felix Banaszak, Grünen-Landesvorsitzender, ist der Ansicht, die 2G-Regel würde den Infektionsschutz in Innenräumen erhöhen und Veranstaltern langfristig Planungssicherheit geben. Außerdem sei die Impfquote stark ausbaufähig. In einigen Städten seien 70 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren nicht geimpft. „Was hält die Landesregierung und die Schulministerin davon ab, eine Impfkampagne speziell für Schülerinnen und Schüler ins Leben zu rufen?“, fragt Banaszak.

Der Grundrechtsexperte

„Wer sich nicht gegen Corona impfen lassen will, muss Nachteile durch die 2G-Regel in Kauf nehmen“, sagt der Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster. Die Landesregierung könne im Rahmen einer Corona-Verordnung die 2G-Regelung landesweit erlassen, wenn sie zugleich deutlich mache, dass dadurch das Infektionsrisiko bei Veranstaltungen und in Betrieben gemindert werde. Supermärkte, Busse und Bahnen oder auch der Arbeitsplatz müssten jedoch auch für Ungeimpfte zugänglich bleiben. „Aber dann müssten diejenigen, die sich in Betrieben nicht impfen lassen wollen, die Tests auch selbst bezahlen“, betont der Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht an der Ruhr-Uni Bochum. „Das finde ich absolut zumutbar, denn es ist nicht einzusehen, dass die Solidargemeinschaft für sie die Tests bezahlt.“

Eine unzulässige Diskriminierung kann Huster darin nicht erkennen. „Es ist ja der Sinn des Infektionsschutzrechtes, diejenigen anders zu behandeln, von denen eine potenzielle Gefahr ausgeht.“ Das sei „ganz und gar angemessen“. Zumal sich das Problem durch eine Impfung leicht beseitigen lasse.

Arbeitgeber und Wirtschaft

Aus Sicht der Wirtschaft ist eine generelle Verschärfung der Auflagen für Ungeimpfte derzeit nicht erforderlich. „Solange keine Überlastung des Gesundheitssystems eintritt, sind keine zusätzlichen Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens angezeigt“, sagte Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der NRW-Unternehmerverbände (unternehmer nrw), dieser Redaktion. Gegen freiwillige „2G“-Modelle für Betriebe mit Publikumsverkehr sei indes nichts einzuwenden. Ziel müsse es sein, erneute Schließungen zu verhindern. Von einer allgemeinen Impfpflicht hält Pöttering nichts. „Klar ist aber auch, dass jene, die sich nicht impfen lassen wollen, auf Dauer Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben werden“, sagte er. Das gelte auch für den Arbeitsplatz.

Die Industrie- und Handelskammern in NRW sprechen sich für klare und bundesweit einheitliche 2G- oder 3G-Regelungen aus. „Darüber sollten alle Betriebe Sicherheit hinsichtlich arbeitsrechtlicher Vorgaben, Impfauskünften und AHA-Regeln erhalten“, sagte eine IHK-NRW-Sprecherin. Einen weiteren Shutdown könnten sich viele Unternehmen nicht leisten.

Der Gewerkschaftsbund

Anja Weber, Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, betont: „Impfen ist eine Frage der Solidarität, zum Beispiel gegenüber Kindern, die aktuell die größten Einschränkungen ertragen.“ In Publikumseinrichtungen wie Restaurants oder Kinos eröffne die 2G-Regelung den Betreibern die Möglichkeit, Auflagen zu reduzieren und gleichzeitig die Sicherheit zu erhöhen, so Weber ein. „Solange diese Regelungen auf Freiwilligkeit beruhen und arbeitsrechtliche Konsequenzen für die Beschäftigten ausgeschlossen sind, ist dagegen nichts einzuwenden.“

„Eine generelle 2G-Regelung für alle Betriebe lehnen wir ab“, stellte Weber klar. Denkbar wäre allerdings ein 3G-Modell, bei dem die Beschäftigten nachweisen, dass sie geimpft, genesen oder getestet sind. „So können Beschäftigte optimal vor der Pandemie geschützt werden, ohne dass in ihre Grundrechte unverhältnismäßig eingegriffen wird“, so Weber. Doch auch bei einer 3G-Regelung müsse sichergestellt werden, dass alle rechtlichen Fragen geklärt seien und Konflikte nicht in die Betriebe verlagert werden.