Dortmund. Diesmal ist die Stimmung anders, beobachten Sozialdemokraten im Revier, zum Beispiel in Bövinghausen. Keiner sagt mehr: „Hauen Sie ab“.

Geht da diesmal was? Die SPD-Basis im Ruhrgebiet hat nach einigen Frust-Erlebnissen in der Vergangenheit richtig Spaß am Wahlkampf, weil Olaf Scholz vielen Umfragen zufolge eine echte Chance auf das Kanzleramt hat. Wo früher viele Passanten an den Info-Ständen achtlos vorbeigingen, wird heute wieder geredet. Eindrücke vom Straßenwahlkampf in Dortmund-Bövinghausen.

Angelika Simmill reicht den Kunden auf dem Edeka- und Aldi-Parkplatz in Bövinghausen kleine Geschenke in einem roten Kescher. Anschaulicher kann Stimmenfang nicht sein. Corona macht den Abstand zur Pflicht, daher die ungewöhnliche Übergabetechnik. Auffällig: Fast keiner wendet sich von Simmill ab, fast alle Frauen und Männer, die sie anspricht, reagieren freundlich. Kugelschreiber und Feuerzeuge gehen gut, Taschentücher und Quietscheentchen auch, besonders beliebt sind aber die Windrädchen. Eine junge Frau nimmt gleich vier davon mit. „Ich habe vier Kinder“, erklärt sie.

Besser nicht nur auf die Fehler der anderen warten

„Sieht ganz gut aus, ne?“, sagt eine offensichtlich der SPD zugeneigte Aldi-Kundin zu Frau Simmill. „Hoffen wir, dass die anderen noch ein paar Böcke mehr schießen.“ Die Wahlkämpferin aus Lütgendortmund möchte aber lieber nicht auf Fehler von Laschet, Baerbock, & Co. warten. „Besser ist die eigene Stärke“, sagt sie. Und so stark und einig wie in diesen letzten Tagen vor der Wahl scheint die Sozialdemokratie lange nicht gewesen zu sein.

„Es wird eine neue Regierung geben, und die Umfragen sind gerade wunderbar“, freut sich Uwe Kaminski, Ratsvertreter aus Dortmund-Westrich. Mit etwas Fantasie könnte man der Szenerie auf diesem Parkplatz eine höhere Bedeutung andichten: Schräg gegenüber ließ ein Online-Jobportal ein Werbeplakat auf eine Hauswand kleben, mit Angela Merkel drauf. „Danke für 16 Jahre harte Arbeit“ steht da. Harte Maloche, die schätzen sie in diesem Ruhrgebietsquartier, ganz in der Nähe zeugt das Industriedenkmal Zeche Zollern davon. Den Job im Kanzleramt wird aber bald ein anderer machen, und das treibt die Dortmunder Wahlkämpfer an. Unweit der Merkel-Werbung haben sie ein Olaf Scholz- und ein Jens-Peick-Plakat aufgestellt. Sie schauen an diesem Spätsommertag weit aneinander vorbei, die Kanzlerin und die beiden Sozialdemokraten.

Wahlkreis mit interessanter Vorgeschichte

Jens Peick ringt hier mit Klaus Wegener (CDU), Markus Kurth (Grüne) und Marco Bülow (Die Partei) um ein Bundestags-Direktmandat. Bülow, dem der Ruf eines Unbequemen und Rebellen anhaftet, ist vor drei Jahren aus der SPD ausgetreten, seine Ex-Partei will diesen Wahlkreis innerhalb ihrer zuletzt schwächelnden „Herzkammer“ unbedingt halten. 2017 holte Bülow fast 39 Prozent. In den 1980-er und 1990-er Jahren „fuhr“ Hans Urbaniak hier sogar mehr als 50 Prozent der Stimmen ein. Von solchen Ergebnissen kann die SPD heute nur träumen, aber: „Die Stimmung hat sich gedreht“, erklärt Peick, der am Vortag von Haustür zu Haustür gezogen war. „Es gibt diesmal keine negativen Reaktionen, keiner sagt: ,Hauen Sie ab‘. Viele möchten wieder wissen, was die SPD will.“

Ulla Jander von der SPD Lütgendortmund erinnert sich an Zeiten, in denen ihre Partei in diesen traditionsreichen Arbeiterstadtteilen beinahe als alternativlos galt. Sie hat schon in den 1970-er Jahren für Willy Brandt und Helmut Schmidt geworben. „Die Leute haben sich damals ehrlich gefreut, dass sich die SPD um sie kümmert.“ Bei der vergangenen Bundestagswahl sei das nicht so gewesen. Die Menschen hätten sich kurz vor der Wahl nicht mehr richtig für Martin Schulz interessiert, und die Werbenden mussten gegen miese Umfragewerte anreden. Diesmal aber, beobachtet Ulla Jander, „strahlen unsere Wahlkämpfer etwas aus: Wir wollen das.“

Bloß nicht zu sicher sein

Uwe Kaminski, der Ratsvertreter, traut dem Braten noch nicht recht. „Das heißt nicht, dass wir uns schon sicher sein können, es zu schaffen“, warnt er. Aber der Trend sei eben 2021 ein anderer und ungewöhnlich viele Bürger hätten ja schon per Brief gewählt.

Olaf Scholz, der bei seiner Bewerbung um den SPD-Vorsitz unter vielen Mitgliedern nicht gerade beliebt war, hat nun auf einmal die Partei hinter sich. Scholz erfährt diesen Rückhalt, weil er die Umfragen in die Höhe geschraubt hat. Vor einem Jahr, als der Bundesfinanzminister zum Spitzenkandidaten erklärt wurde, sei die Stimmung eher mau gewesen, erinnert sich einer der Wahlkämpfer. Motto. „Soll er mal machen. Hauptsache, wir stürzen nicht auf zwölf Prozent ab.“ Dirk Tratzig, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Zollern, trommelt gerne für Scholz, wünscht sich aber, dass künftig wieder mehr die Basis einbezogen wird bei der Entscheidung, wer solche Spitzenpositionen besetzt.

Eine neue Forsa-Umfrage, die die Union in leichtem Aufwind sieht, trübt die Stimmung unter den Wahlkämpfern auf dem Supermarkt-Parkplatz nicht. Lässiges Schulterzucken ist ihre Reaktion. Diesmal, glauben sie, sei es anders. Da geht was.