Düsseldorf. Der Unionskanzlerkandidat hat sich auf eine Zukunft in Berlin festgelegt. In zwei Wochen sortiert sich also auch die Landespolitik neu.

Am 26. September entscheidet sich nicht nur, wer Deutschland künftig regiert. Nach der Bundestagswahl steht auch ein Wechsel in Nordrhein-Westfalen an. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat bereits vor Monaten klargestellt, dass er sein Ministerpräsidenten-Amt aufgeben und nach Berlin wechseln will. Wer ihm in der Düsseldorfer Staatskanzlei nachfolgen könnte, wird eifrig diskutiert. Vier Szenarien, über die spekuliert wird:

1. Laschet wird doch noch Kanzler, Wüst kommt.

Wenn die Union sich im Endspurt doch noch knapp vor die SPD schieben sollte oder irgendeine realistische Machtperspektive hat, wird Laschet den Regierungsauftrag für sich reklamieren und wochenlang die Möglichkeit einer Jamaika-Regierung (mit FDP und Grünen) sondieren. Wenn er über die Reserveliste in den Bundestag einzieht (in einem Wahlkreis tritt er nicht an), müsste er mit dem Zeitpunkt der Parlamentskonstituierung (spätestens am 26. Oktober) als Ministerpräsident zurücktreten. Die NRW-Verfassung verbietet es, dass Mitglieder der Landesregierung anderen Parlamenten außer dem NRW-Landtag angehören.

Die NRW-CDU würde in diesem Fall beim Landesparteitag am 23. Oktober einen neuen Vorsitzenden wählen, der auch wenige Tage später im Landtag von den Fraktionen von CDU und FDP zum neuen Ministerpräsidenten gekürt würde. Wahrscheinlichster Kandidat: Verkehrsminister Hendrik Wüst (46), der als einziger Anwärter das verfassungsmäßig vorgeschriebene Landtagsmandat hat sowie über das richtige Alter und den richtigen Machtinstinkt verfügt. Wüst müsste sich in wenigen Monaten einen Amtsbonus aufbauen, um als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Mai 2022 die Staatskanzlei für die CDU zu verteidigen. Risiko: Die Zeit für eine gute Kampagne, mit der NRW trotz des Wiedererstarkens der SPD als CDU-Land behauptet wird, dürfte ziemlich knapp werden.

2. Laschet stürzt ab, der Erbstreit beginnt.

Wenn die Bundestagswahl so ausgeht, wie es die Umfragen aktuell nahelegen, hat Laschet wohl keine politische Zukunft. Ein atemberaubender Niedergang der Union binnen weniger Wochen würde ganz persönlich am Kanzlerkandidaten festgemacht. Laschet müsste als CDU-Bundesvorsitzender zurücktreten und hätte auch in NRW keine Perspektive. Aus Sorge, dass die historische Klatsche in Berlin auf die Landtagswahl im Mai 2022 durchschlägt, dürften schnell Stimmen laut werden, dass in Düsseldorf ein eiliger und klarer Neuanfang hermüsse. Dafür dürfte sich Hendrik Wüst in Stellung bringen, den sein Landtagsmandat zum wahrscheinlichsten Ministerpräsidenten in der laufenden Legislaturperiode macht. Er würde am 23. Oktober als Landesvorsitzender kandidieren und versuchen, die Gesamtführung an sich zu ziehen. Er kann sich auf die Unterstützung von sechs der acht mächtigen Bezirksvorsitzenden stützen.

Da Wüst aber nicht nur Freunde hat und die schwarz-gelbe Koalition im Landtag über bloß eine Stimme Mehrheit verfügt, ist ein Durchmarsch nicht ohne Risiko. Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen (62) soll sich bereits mit dem Gedanken tragen, bis zur Landtagswahl selbst als „Übergangsministerpräsident“ zu fungieren. Als Spitzenkandidatin zur Landtagswahl im Mai 2022 könnte dann seine Vertraute, die ambitionierte Heimatministerin Ina Scharrenbach (44), antreten. Sie ist kein Landtagsmitglied und kann deshalb nicht sofort Regierungschefin werden. Möglicherweise verbünden sich Scharrenbach und Löttgen noch mit dem populären Innenminister Herbert Reul (69), der nicht als Wüst-Freund gilt und sich für den Übergang als erfahrener Vorsitzender der NRW-CDU anbieten könnte. Risiko: Die CDU würde den Amtsbonus des Ministerpräsidenten verschenken und mit taktischen Personalspielchen den Wahlerfolg 2022 gefährden.

3. Laschet begeht Wortbruch, der Neuanfang wird aufgeschoben.

Sollte die Union bei der Bundestagswahl untergehen, könnte Laschet als Bundesvorsitzender zurücktreten und seine Rückkehr nach NRW ankündigen. Es wäre zwar ein glatter Wortbruch, aber er ist nun mal gewählter Ministerpräsident sowie in CDU-Funktionärskreisen trotz der aktuellen Misere weiterhin beliebt. Er hätte mit dem Manöver die internen Wüst-Gegner auf seiner Seite. Laschet könnte ankündigen, dass er seine Arbeit in NRW ordnungsgemäß bis Mai 2022 zu Ende bringen wolle.

Damit wäre die NRW-CDU frei, einen ganz anderen Spitzenkandidaten zur Landtagswahl aufzubieten. Möglicherweise interessiert sich die CDU-Bundesprominenz für die Position, wenn in Berlin nichts mehr zu verteilen ist. Oder ein profilierter Kommunalpolitiker wie Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen. Risiko: Laschet wäre als gescheiterter Kanzlerkandidat über Monate eine „lame duck“ (lahme Ente), wie man in den USA Amtsträger ohne Zukunft nennt. Ob er sich das antut und die Partei ihn lässt, erscheint zweifelhaft.

4. Laschet geht, sofortige Neuwahlen kommen

Bei einer Bundestagswahl-Niederlage und geplatzten Kanzlerträumen könnte Laschet verzweifelt versuchen, doch noch einmal ganz auf die Karte NRW zu setzen. Er würde vom CDU-Bundesvorsitz zurücktreten und zugleich ankündigen, beim Landesparteitag am 23. Oktober erneut als Landesvorsitzender anzutreten. Laschet würde lokalpatriotische Saiten zum Klingen bringen wollen: Deutschland hat den Rheinländer halt nicht verstanden, die erfolgreiche NRW-Koalition macht jetzt ihr eigenes Ding. Könnte man nicht die Landtagswahl 2022 sogar zur Bürgerabstimmung über Laschets politische Zukunft machen („Modell Giffey“)?

Vermutlich wäre er nach der verkorksten Bundestagswahlkampagne zu beschädigt, um einen solchen Neuanfang in Düsseldorf hinzubekommen. Die Erinnerung an die gescheiterte Kanzlerkandidatur würde zu einem treuen Begleiter der Landesregierung. Da die Angst der Abgeordneten vor dem Mandatsverlust in der Regel größer ist als persönliche Loyalitäten, könnte Laschet zum Rücktritt als Ministerpräsident gedrängt werden. Falls sich kein Nachfolger findet, der die 100 Stimmen von CDU und FDP sicher auf die Waage bringt, wären vorgezogene Neuwahlen fällig. Die CDU müsste sich binnen weniger Wochen hinter einem Spitzenkandidaten versammeln.