Rheda-Wiedenbrück. DGB-Chef Reiner Hoffmann warnt nach einem Gespräch mit Beschäftigten in der Fleischindustrie vor den Tricks der Branche.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erhebt ein Jahr nach den Corona-Ausbrüchen bei der Firma Tönnies und anderen Fleischunternehmen und der Diskussion um schlechte Arbeitsbedingungen schwere Vorwürfe gegen die Fleischindustrie. Die Beschäftigten, die vor allem aus Südosteuropa stammen, seien zwar jetzt direkt bei den deutschen Firmen und nicht mehr bei Subunternehmern angestellt. Dennoch halte die Tendenz zur Ausbeutung an. Die Arbeitsschutzkontrollen müssten daher intensiviert werden.
„Das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das der Fleischindustrie verbietet, Subunternehmer für das Schlachten und Zerlegen zu beauftragen wirkt sich positiv aus. Der Status der Beschäftigten wurde verändert, die Bezahlung ist ein bisschen besser geworden. Es wäre aber naiv zu glauben, dass sich etwas an den harten Arbeitsbedingungen geändert hätte“, sagte der DGB-Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann nach einem Gespräch mit Beschäftigten der Fleischindustrie und Gewerkschaftern in Rheda-Wiedenbrück.
Lange Schichten, kurze Pausen
Es gebe immer noch erhebliche Probleme. Die zum Teil extrem langen Schichten in der Fleischverarbeitung ohne richtige Pausen machten die Menschen krank.
Laut Hoffmann sind viele Unternehmen in dieser Branche nach dem Aus für Subunternehmer und Werkverträge dazu übergegangen, ihre Strukturen zu verschachteln. „Wenn die Arbeit in Untergesellschaften aufgeteilt wird und Arbeitsprozesse zerlegt werden, ist es schwer, Betriebsräte zu gründen“, kritisierte Hoffmann. Ausgelagerte Teile der Fleischproduktion würden immer noch über Werkverträge geregelt, sachgrundlos befristete Arbeitsverträge seien die Regel.
„Es gibt eine graduelle Verbesserung für Arbeitnehmer, aber mehr kann ich nicht erkennen“, bilanzierte Hoffmann. Südosteuropäische Mitarbeiter der Firma Tönnies hatten ihm zuvor geschildert, dass sie weiter viele Überstunden leisten müssten. Oftmals seien die Ex-Subunternehmer weiter ihre Haupt-Ansprechpartner. Die früheren Subunternehmer würden immer noch Rumänen und Bulgaren mit falschen Versprechungen nach NRW locken, ihnen hier Arbeit in Möbelhäusern in Aussicht stellen und dann zum Fleischzerlegen schicken.
Firma Tönnies: „Wir halten uns selbstverständlich an alle geltenden Gesetze"
Das Unternehmen Tönnies wies die Vorwürfe zurück. „Wir halten uns selbstverständlich an alle geltenden Gesetze, so auch an Arbeitszeitvorschriften und Grenzen“, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Die direkte Anstellung der Beschäftigten in den Kernbereichen der Fleischproduktion sei ein „Mammutprozess“ gewesen, mit dem Tönnies sehr früh begonnen habe und der bis Ende 2021 geglückt sei.
Das NRW-Arbeitsministerium nahm am Donnerstag zu der Kritik des DGB und zu den Schilderungen von Tönnies-Mitarbeitern gegenüber dieser Redaktion wie folgt Stellung: "Die Bezirksregierung ist dauerhaft in dem Unternehmen und hat bereits erhebliche Fortschritte – auch durch eine wachsende Kooperationsbereitschaft des Unternehmens – in arbeitsschutzrechtlichen und aktuell vor allem auch infektionsschutzrechtlichen Fragestellungen erreicht."
Es könnten aber trotz der massiven und deutschlandweit aufgrund der Betriebsgröße vermutlich einzigartigen Präsenz des Arbeitsschutzes nicht alle Themen gleichzeitig kontrolliert werden. "Wir werden den Beschwerden zur Arbeitszeit und zu der Gestaltung der Pausenräume umgehend nachgehen. Bisher liegen uns hierzu keine Erkenntnisse vor", so ein Sprecher des Ministeriums.
Ist das Geflecht aus Subunternehmen wirklich zerschlagen?
Gut ein Jahr nach den Corona-Ausbrüchen bei der Großschlachterei Tönnies und der Diskussion über unerträgliche Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie ist Ruhe eingekehrt im östlichen Westfalen. Ein Arbeitsschutzkontrollgesetz verbietet inzwischen Werkverträge in Schlachtung und Zerlegung und Zeitarbeit.
Das komplizierte Geflecht aus Konzernen, Sub- und Sub-Sub-Unternehmern scheint zerschlagen. Aber geht es den zumeist aus Südosteuropa stammenden Beschäftigten heute tatsächlich viel besser? Ein Gespräch des DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann mit solchen Arbeitnehmern nährt Zweifel.
"Es hat sich wenig geändert. Dieselben Chefs, dieselben Regeln“
„Es hat sich wenig geändert. Dieselben Chefs, dieselben Regeln“, erzählt einer der Beschäftigten dem Gewerkschaftschef. Reiner Hoffmann (66) hat bei seiner „Sommertour“ durch NRW im DGB-Beratungsbüro „Faire Arbeit“ in Rheda-Wiedenbrück Station gemacht. Zwei Stunden lang hört er, was Beschäftigte in der Fleischindustrie, ein Betriebsrat und mehrere Gewerkschafter über die Arbeit mit der Ware Fleisch berichten. Am Ende ist sein Urteil hart: „Die Fantasie, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu schaffen, ist nach wie vor groß.“ Die Branche suche und finde Methoden, das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz durch die Auslagerung von Arbeitsschritten auszuhebeln.
„Bei uns heißt es, wenn ich Fleisch in einen Cutter werfe, Würze hinzufüge und es zur Wurstmasse forme, dann sei das kein Fleisch“, berichtet ein Betriebsratsmitglied aus einem Unternehmen, das nicht zu Tönnies gehört. Solche Arbeiten würden oft ausgelagert und dann doch weiter über Werkverträge und Subunternehmen geregelt. Hoffmann nimmt das Bild auf: „Da werden Menschen wie eine Leberwurst ausgequetscht.“
Mehr als 230 Arbeitsstunden in einem Monat
Eine Tönnies-Angestellte aus Südosteuropa zeigt anhand ihrer Lohnabrechnung, dass sie in einem Monat mehr als 230 Stunden am Band gestanden habe – zuweilen zwölf bis 14 Stunden ohne anständige Pause, obwohl sie eigentlich eine 40-Stunden-Woche habe. „Eine Kollegin war samstags nicht erschienen und wurde gleich abgemahnt“, sagt sie. Wenn einer umfalle, werde er für drei Tage nach Hause geschickt.
Bezahlt werde nur die Zeit am Band, nicht aber das An- und Auskleiden, der größte Teil der halbstündigen Pause gehe für das Reinigen von Arbeitswerkzeugen drauf. Die Frau wohnt in einer Gemeinschaftsunterkunft und zahlt für ein halbes Zimmer mehr als 200 Euro Miete im Monat. Die Summe wird ihr gleich vom Lohn abgezogen.
Corona-Regeln werden jetzt respektiert
Die Frage, ob jetzt die Corona-Vorschriften im Betrieb eingehalten werden, bejahen die Mitarbeiter. Abstand, Maske, Spuckschutz seien üblich. Ein Beschäftigter sagt aber, dass nun wegen der Sicherheitsabstände weniger Kollegen die gleiche Arbeit machen müssten. Folge: Mehr Stress für jeden. Und in de Pausenräumen fehlten Sitzgelegenheiten.
Anna Szot von der Beratungsstelle „Faire Mobilität“ berichtet, dass durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz Fortschritte bei der Arbeitszeiterfassung und bei der Bezahlung -- in der Regel Mindestlohn plus diverse Zuschläge --- erzielt worden seien. Es gebe auch weniger Willkür bei Kündigungen. Die Arbeitsbedingungen hätten sich aber kaum geändert. „Es wird weiter geschrien und gedroht“, so Szot. Oft seien die früheren Subunternehmer weiter die Ansprechpartner der Arbeiter, schon aufgrund von Sprachproblemen.
Arbeit im Möbelhaus wird versprochen, dann geht's zur Fleischzerlegung
„An wen soll man sich wenden, wenn man Probleme mit der Lohnabrechnung hat?“, fragt ein Arbeiter. „Die Integrationskraft, an die man sich wenden könnte, ist verwandt mit dem ehemaligen Subunternehmer. Als ich ihre Hilfe brauchte, zuckte sie nur mit der Schulter und sagte: Geh zur Gewerkschaft.“ Immer noch würden Subunternehmer unter falschen Versprechen Rumänen und Bulgaren nach NRW locken. DGB-Chef Hoffmann: „Man stellt ihnen Arbeit in einem Möbelhaus in Aussicht, und sie enden in der Fleischzerlegung.“
Unternehmen verweist auf feste Standards und ortsübliche Mieten
Ein Sprecher von Tönnies betont, dass sich das Unternehmen streng an die Gesetze halte, auch bei der Arbeitszeit. Einen expliziten Vergütungsanspruch für Umkleide, Wege und Rüstzeiten gebe es nicht. Diese Zeiten würden aber auf die Tageshöchstarbeitszeit angerechnet.
Gerade im Zusammenhang mit der Pandemie seien Anfang 2020 zusätzliche Pausen- und Kantinenplätze geschaffen worden. „Der Vorwurf zu weniger Sitzplätze in den Pausenräumen ist Quatsch“, so der Sprecher. Die meisten Angestellten wohnten in Privatwohnungen, die anderen „zu festen Standards und ortsüblichen Mieten“ in Wohnungen des Unternehmens. Der Mietzins decke auch die Nutzung von Küche, Bad, Strom, Internet und Möbeln ab.