Essen/Witten. Der Inzidenzwert in NRW liegt bei über 100 – so hoch wie nirgends sonst bundesweit. Auch Reiserückkehrer treiben das Infektionsgeschehen an.
Die Corona-Zahlen steigen in NRW weiter deutlich an. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) am Montag bei 103,3. Damit erreicht NRW bundesweit den höchsten Wert. Zahlreiche Großstädte führen die deutschlandweite Statistik an, darunter Leverkusen, Solingen, Bielefeld, Krefeld und Dortmund.
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Die hohen Zahlen in NRW sind auch angesichts der Impfquoten überraschend. Denn nach jüngsten RKI-Daten sind in NRW 61 Prozent der Einwohner vollständig geimpft. Mindestens einmal geimpft sind demnach 67,5 Prozent der Bevölkerung. NRW liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 57,8 beziehungsweise 63,5 Prozent. Auch in der Altersklasse zwölf bis 18 Jahren liegt NRW bei der Impfquote vorn. Die erste Spritze haben demnach bisher 29 Prozent der Jugendlichen erhalten, bundesweit sind es im Schnitt 25,1 Prozent.
In NRW bis zu 60 Prozent aller Infektionen in Deutschland
Wo liegt also die Ursache für die extrem hohen Infektionszahlen in Nordrhein-Westfalen? „Dieses Phänomen haben wir bereits im letzten Sommer beobachtet“, sagt der Epidemiologe Prof. Ralph Brinks von der Universität Witten-Herdecke. Er verfolgt die Daten seit Beginn der Pandemie. Zwar stelle NRW nur rund 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, registrierte aber im Sommer 2020 im Durchschnitt rund 40 Prozent aller Infektionen. An machen Tagen im Juli und August des vergangenen Sommers entfielen teilweise rund 60 Prozent aller Infektionen in Deutschland auf NRW. „Das waren erstaunliche Werte und krasse Ausreißer“, so Brinks. „Dieses Jahr ist es etwas besser, wir liegen bei rund 30 Prozent der Infektionen in Deutschland“, so Brinks.
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Den Effekt erklärt sich der Professor für Medizinische Biometrie und Epidemiologie vor allem mit den Reiserückkehrern. Viele würden sich im Urlaub vor allem in Ländern, in denen die Hygieneregeln nicht so strikt gehandhabt würden, mit dem Virus infizieren, was oft erst bei einem Test nach der Rückkehr auffalle. Das erkläre, warum zum Beispiel Bayern, wo die Sommerferien noch bis zum 13. September andauern, einen derzeit vergleichsweise niedrigen Inzidenzwert (34,1) aufweise. „Auch dort werden die Zahlen nach den Ferien ansteigen“, glaubt Brinks.
Ballungsräume als Infektionstreiber
Als zweite Ursache nennt der Forscher „sozio-ökonomische Gründe“. Es sei bekannt, dass sozial benachteiligte Menschen ein deutlich höheres Infektionsrisiko aufweisen. Brinks: „Neben dem Alter ist die sozio-ökonomische Situation der Menschen ein starkes Merkmal in der Epidemiologie.“ Die großen Städte und Ballungsräumen in NRW mit ihren zahlreichen sozial benachteiligten Stadtvierteln und beengten Wohnverhältnissen treiben daher das Infektionsgeschehen an. Die hohen Inzidenzwerte in Städten wie Berlin, Hamburg oder Bremen bestätigen diese Erklärung. „Corona trifft vor allem sozial schlechter gestellte Menschen in ärmlichen Verhältnissen, das haben seriöse Studien erwiesen“, so Brinks.
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Dass in NRW die Quote von im Schnitt 40 im Sommer 2020 auf aktuell rund 30 Prozent aller Infizierten in Deutschland gefallen sei, sieht Brinks als gutes Zeichen. Dies sei vor allem auf die wachsende Zahl der Geimpften sowie auf eine gestiegene Wachsamkeit und Vorsicht der Menschen zurückzuführen.