Düsseldorf. Der NRW-Innenausschuss diskutierte über Versäumnisse im Krisenmanagement - und eine besondere Randerscheinung der Katastrophe.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hat in diversen Krisen eine regierungsamtliche Hemdsärmeligkeit perfektioniert, die ihm auch in der aktuellen Hochwasser-Katastrophe zu helfen scheint. Als die Landtagsopposition aus SPD und Grünen am Mittwochmorgen in einer eilig anberaumten Sommerferien-Sondersitzung des Düsseldorfer Innenausschusses Versäumnisse in der bisherigen Flutbewältigung nachzuweisen versucht, umarmt der 68-jährige CDU-Politiker mal wieder gekonnt seine Kritiker.
Es dauert keine fünf Minuten, da nimmt Reul sämtliche Vorwürfe selbst vorweg: „Paradiesisch ist das nicht gelaufen“, sagte er. Landesweit seien 47 Menschen ums Leben gekommen, 23 von ihnen wurden vermutlich von den Wassermassen auf offener Straße in den Tod gerissen. 25 Kreise und Städte in NRW seien teilweise schwer verwüstet. Viele Menschen hätten alles verloren. Der Wiederaufbau werde Milliarden kosten und „Wochen, Monate und zum Teil Jahre dauern“. Bei einer solchen Schadensbilanz könne nicht alles glatt gelaufen sein, räumt der Minister ein. Zu Nachbesserungen im Katastrophenschutz sei er bereit, warnt aber vor „Schnellschüssen“.
Diebstähle und Katastrophen-Touristen in den Flutgebieten
Reul versammelt den Ausschuss rasch hinter großem Dank an bis zu 23.000 Einsatzkräfte der „Blaulichtfamilie“, an die Bundeswehr, an die US-Streitkräfte für ihre zugesagte Unterstützung beim Brückenbau oder an die Republik Polen für 164 Bautrockner. Er lenkt den Zorn auf Kriminelle, die das Leid der Flutopfer ausnutzten. Es sei in der aktuellen Aufräumphase zu 65 Fällen von Diebstählen und 31 Fällen von besonders schwerem Diebstahl gekommen. Die Polizei habe im Zusammenhang mit Katastrophen-Tourismus auch 4300 Platzverweise aussprechen müssen. „Es ist zum … Ich sag‘ es nicht“, stöhnt Reul.
Nach dieser Eröffnung wirken Fragen zum genauen Ablauf in der Krisenreaktion der Landesregierung schnell kleinkariert. Dabei sind Zweifel von SPD und Grünen an der Funktionstüchtigkeit der Alarmkette ja durchaus berechtigt. Am 12. Juli, einem Montag, waren die ersten ernsthaften Warnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) an die Lagezentren gegangen. Insgesamt werden am Ende bis 19. Juli in NRW sogar 199 Warnmeldungen verbreitet. Nur: Eine Übersetzung für den konkreten lokalen Bevölkerungsschutz, der vor Ort auch verstanden und ernst genommen wird, hat offenbar nicht funktioniert.
SPD fragt, warum kein Landeskrisenstab gebildet wurde
Die SPD stößt sich daran, dass auf Ebene des Innenministeriums erst am Nachmittag des 14. Juli eine sogenannte Koordinierungsgruppe des Krisenstabes der Landesregierung aktiviert wurde. Nach Einschätzung von SPD-Innenexperte Hartmut Ganzke hätte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) umgehend von seinem Recht Gebrauch machen müssen, einen echten „Landeskrisenstab“ wie in Rheinland-Pfalz einzusetzen. „Was muss in diesem Land passieren, damit ein Landeskrisenstab eingesetzt wird“, fragt Ganzke mit Blick auf das Jahrhundertereignis Flut.
Kam es zu Reibungsverlusten, weil Hilfe der unterschiedlichsten Akteure nicht zentral koordiniert wurde? Reul bestreitet das. Bei ihm säßen auch ohne formalen Landeskrisenstab 20 Experten zur Krisenbewältigung, die rund um die Uhr die landesübergreifende Fluthilfe steuerten. Der Innenminister versteht die Hochwasser-Katastrophe vielmehr als Weckruf für einen neuen „Warn-Mix“. Die landesweit gut 5000 Sirenen sollen gemeinsam mit dem SMS-Dienst „Cell Broadcast“ und direkt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestrahlten Unwetter-Ankündigungen des Deutschen Wetterdienstes künftig die Bevölkerung im Ernstfall aufrütteln. „Wir müssen klären, welche Wege der Warnung wie greifen“, findet Reul. Richtig widersprechen mag ihm da niemand.