Düsseldorf. Werden Corona-Abstriche abgerechnet, die es nur auf dem Papier gibt? Die Staatsanwaltschaft in Bochum ermittelt gegen ein Unternehmen.
Das NRW-Gesundheitsministerium geht Hinweisen auf Abrechnungsbetrug in den Corona-Testzentren nach. Auch wenn das Land nicht direkt zuständig sei, nehme man die Vorwürfe ernst und werde „nochmals die Verpflichtung zum Abgleich der Identität durch die Teststellen ausdrücklich klarstellen“, erklärte ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. Möglicherweise würden Regelungen angepasst. In der „Teststrukturverordnung“ des Landes sei klar geregelt, dass Name, Anschrift und Geburtsdatum von getesteten Personen für mindestens ein Jahr aufzubewahren seien.
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum habe Ermittlungen aufgenommen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs bei Corona-Bürgertests. Das bestätigte ein Sprecher der Behörde am Samstag. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe.
Der Rechercheverbund aus WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung hatte zuvor berichtet, dass die Vergütung von Corona-Bürgertests großangelegten Betrug ermögliche. Die wie Pilze aus dem Boden schießenden Teststellen könnten ohne jeden Beleg bei den Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen. Diese wiederum lassen sich die Kosten vom Bund erstatten. Nicht einmal das eingekaufte Testmaterial müsse nachgewiesen werden, um die abgerechnete Zahl der Testpersonen plausibel zu machen, hieß es in dem Bericht.
NRW sorgte für tägliche Meldung der Test-Anzahl
„Bei der Einführung des Verfahrens zum 8. März 2021 gab es im Bundesrecht weder konkrete Qualitäts- noch Verfahrensvorgaben für die Beauftragung. Auch haben die Kassenärztlichen Vereinigungen uns mitgeteilt, dass sie sich aufgrund ihres Abrechnungsverfahrens außer Stande sehen, zeitnah Meldungen über die Anzahl der Testungen und vor allem der Quote der positiven Testungen zu übermitteln“, bestätigte das NRW-Gesundheitsministerium am Freitag.
Es handelt sich offenbar um ein lukratives Geschäft. Die Teststellen können pro Bürgertest 18 Euro abrechnen. Die Materialkosten betragen einen Bruchteil der Summe.
Die Zahl der Teststellen in NRW ist seit März explodiert
Aufgefallen sind die mutmaßlichen Betrügereien offenbar nur durch einen Sonderweg, den die NRW-Landesregierung eingeschlagen hatte. Das Gesundheitsministerium knüpfte die Zulassung von Bürgertestzentren an ein tägliches Meldeverfahren. Dabei fiel Journalisten bei Stichproben auf, dass die gemeldete und abgerechnete Zahl der Tests zum Teil dreimal höher war als die Zahl der Personen, bei denen während der Öffnungszeiten des betreffenden Tages tatsächlich ein Abstrich gemacht worden war.
Allein in NRW ist die Zahl der Teststellen zwischen Mitte März und Mitte Mai von 1862 auf 8735 in die Höhe geschnellt. Laut WDR, NRW und Süddeutscher Zeitung reichte ein Online-Kurs über die Abstrich-Technik aus, um beim örtlichen Gesundheitsamt einen Antrag auf Eröffnung eines Testzentrums stellen zu können. Die Landesregierung hatte die Testinfrastruktur als vorbildlich gelobt und zuletzt auf die geringe Zahl an Positivproben gemessen am gesamten Testaufkommen hingewiesen.
Justizministerium: Abrechnungen der Corona-Teststellen müssen kontrolliert werden
Angesichts der möglichen Betrugsfälle nahm auch die politische Debatte Fahrt auf. Die SPD attackierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag: „Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.“ Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. „Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden.“
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte am Samstag auf Anfrage: „Es bedarf genauer Kontrollen der Abrechnungen durch Corona-Teststellen, wenn es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gibt. Bei Betrugsverdacht bedarf es konsequenter strafrechtlicher Ermittlungen.“ Gewerbsmäßiger Betrug könne nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, sagte der dpa: „Kriminelle Energie kann man wohl nirgends ausschließen. Allerdings sind bei mir bislang noch keine belastbaren Zahlen aufgetaucht.“ Da die Zentren die Unterlagen aufbewahren müssten, gehe sie davon aus, dass die Länder zumindest stichprobenartig die Anzahl der abgerechneten Fälle und die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingegangenen Abrechnungsunterlagen überprüfen. „Sollten sich daraus Unregelmäßigkeiten ergeben, muss natürlich konkreten Fällen nachgegangen werden.“ (mit dpa)