Düsseldorf. NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler über antisemitische Hetze in der muslimischen Community und Reflexe im Nahost-Konflikt.

Antisemitische Hetzparolen, brennende Israel-Flaggen, Steine gegen Synagogen – in NRW zeigt sich im Zuge der jüngsten Nahost-Eskalation offener Judenhass. Wie die Reflexe in Teilen der muslimischen Gemeinschaft funktionieren, erklärt Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU).

Frau Staatssekretärin, die Polizei wurde von dem antisemitischen Aufmarsch vor der Synagoge in Gelsenkirchen offenbar überrascht. Sie auch?

In dieser Form, ja. In den sozialen Netzwerken, die oft ein guter Wasserstandsmelder sind, war die Situation in diversen muslimischen Communities schon sehr aufgewühlt. Viele informieren sich fast ausschließlich über die Medien der Heimatländer, in denen allesamt Israel als die schuldige Seite dargestellt wird. Der türkische Präsident bezeichnet etwa das israelische Vorgehen als Terror und nicht etwa die Taten der Hamas. Und dennoch: Dass es zu dieser Art von Hass, zu purem Antisemitismus vor einer Synagoge kommen kann, hat mich genauso überrascht wie die Polizei. Leider ist das, was in Gelsenkirchen passiert ist, nicht der einzige antisemitische Vorfall in den letzten Tagen.

Sind das nach Ihrer Einschätzung spontane Zusammenkünfte oder gibt es eine Organisationsstruktur, die antisemitische und anti-israelische Reflexe auf Knopfdruck aktivieren kann?

Ich denke, es ist eine Mischung. Der Nahostkonflikt ist sehr komplex, wird aber häufig vereinfacht. Nicht nur auf der muslimischen Seite. Dabei muss klar sein, was weniger komplex ist: Die deutsche Staatsräson, die das Existenzrecht Israels nicht in Frage stellt und die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel und dem Judentum. Das spielt bei manchen Menschen aber leider überhaupt keine Rolle, so dass einerseits die legitime Kritik an der israelischen Politik gerne verwechselt wird mit Israelkritik oder im schlimmsten Falle mit Israel- und Judenhass. Diese kommen dann tatsächlich auf Knopfdruck zum Vorschein, wie wir es leider in Gelsenkirchen oder anderen Städten erlebt haben.

Auf den Videos, die in Gelsenkirchen aufgenommen wurden, sieht man auch Türkei-Fahnen. Wieso solidarisieren sich Deutsche, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei eingewandert sind, mit einer Terrororganisation wie der Hamas?

Auf den Kanälen, bei denen sie sich über Nachrichten informieren, ist nicht die Hamas der Terrorist, sondern Israel. Dieses Bild bekommen sie dort vermittelt. Das sind einerseits die türkischen Medien, die aber bei den Jugendlichen vor allem über die sozialen Netzwerke ankommen. Hinzu kommen Medien aus der linken bis linksextremen Szene, die in ihrer Bewertung zu Israel ja sehr ähnlich agieren. Wer die israelische Politik kritisieren will, soll das in einer zivilisierten Demonstration vor der israelischen Botschaft oder den anderen staatlichen Vertretungen machen, aber nicht vor Synagogen mit antisemitischen Zitaten.

Gibt es unter hier lebenden Muslimen einen unterschwelligen Antisemitismus?

Bei manchen sicherlich. Zum Teil ist das ein Antisemitismus, den sie entweder selbst aus ihrem Herkunftsland mitgebracht haben, oder aber auch der, den sie hier vermittelt bekommen haben. Antisemitismus ist ja auch bei uns nicht ausschließlich importiert.

Akzeptieren Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte überhaupt, dass die Solidarität mit Israel deutsche Staatsräson ist?

Ich glaube nicht, dass das nur bei Zugewanderten auf Nicht-Akzeptanz stoßen kann. Wir haben auch eine rechte oder linke Szene in Deutschland, die das genauso wenig akzeptiert.

Wie kann es sein, dass manche Muslime einerseits selbst Rassismus erleben und oft zurecht die Ausgrenzung ihrer Religion beklagen - und gleichzeitig Steine auf eine Synagoge werfen?

Ganz ehrlich: Ich habe dafür weder eine Erklärung noch Verständnis. Ich halte das für ein absolut inakzeptables Verhalten, für das es überhaupt keine Rechtfertigung gibt. Niemand, der sich selbst als gläubiger Mensch bezeichnet, darf Steine auf andere Gotteshäuser werfen.

Welche Lehren muss die Politik aus den Vorgängen ziehen?

Es gibt ja gerade polizeiliche oder strafrechtliche Ermittlungen. Es ist wichtig, dass der Staat hier klare Kante zeigt. Wir müssen deutlich machen, dass wir ein derartiges Verhalten ächten. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Wer Hass und Hetze verbreitet, gehört bestraft und aufs schärfste kritisiert. Gleichzeitig müssen wir aber auch weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln mit Programmen, Projekten und unserem eigenen Verhalten aufklären und erklären, warum Antisemitismus bei uns keinen Platz haben darf.