Düsseldorf. Der Missbrauchs-Skandal Lügde offenbarte viele Versäumnisse bei Behörden. Im Untersuchungsausschuss zeigte sich der frühere Landrat ahnungslos.

Der hundertfache Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde hat beim zuständigen Landrat bei Bekanntwerden des Falls nach eigenen Angaben zunächst keine Alarmglocken schrillen lassen. „Am Anfang war das ein Fall wie viele andere Fälle auch im Haus“, sagte der inzwischen pensionierte Landrat des Kreises Höxter, Friedhelm Spieker (CDU), am Freitag als Zeuge im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch des nordrhein-westfälischen Landtags. Als der Fall „aufploppte“, habe sich für ihn nicht abgezeichnet, „da kommt jetzt was ganz Schlimmes auf uns zu“.

Er habe sich die Akten zu den betroffenen Kindern aus dem Kreis Höxter nicht vorlegen lassen und wisse auch nicht, wie viele es seien, sagte Spieker. Er wisse nicht mal mehr, „wann es genau begann, der Skandal - helfen Sie mir“, bat er den Ausschussvorsitzenden Martin Börschel (SPD).

U-Ausschuss zum Fall Lügde: Ex-Landrat vertraute auf Fachbereichs- und Abteilungsleiter

Auf dessen Frage, ob der Fall nicht so wichtig gewesen sei, um ihn in Erinnerung zu behalten, antwortete der 66-jährige Zeuge: „Da können Sie sich nicht dran erinnern - wer das kann, der behauptet was Unmenschliches.“ Um Details habe er sich als Landrat neben den vielen anderen Aufgaben nicht kümmern können. Dafür seien gut bezahlte Fachbereichs- und Abteilungsleiter zuständig.

Friedhelm Spieker, ehemaliger Landrat im Kreis Höxter, sagte am Freitag im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch zum Fall Lügde aus.
Friedhelm Spieker, ehemaliger Landrat im Kreis Höxter, sagte am Freitag im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch zum Fall Lügde aus. © Unbekannt | Oliver Berg/dpa

Auf die Frage des Ausschussvorsitzenden, welche verbindlichen Dienstanweisungen es in der Kreisverwaltung Höxter gegeben habe zum Umgang mit sogenannten 8-a-Fällen des Sozialgesetzbuchs - also zur Schutzpflicht des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung - antwortete der Jurist, 8-a-Meldungen sagten ihm nichts. Zuständig sei der Fachbereichsleiter.

Er wisse auch nicht, welche Dokumentationspflichten es gebe bei Amtswechsel und Fallübergaben, sagte Spieker, der bis zum vergangenen Oktober elf Jahre lang Landrat in Höxter war. „Es könnte durchaus sein, dass ich ein Regelwerk für Übergaben habe - irgendwo vergraben.“ Es habe aber keinen Grund für „Formalismus“ und noch mehr Bürokratie gegeben. „Das läuft einfach. Das hat immer geklappt.“ Börschel kommentierte das mit den Worten: „Das klingt sehr menschenfreundlich, aber wenig organisiert.“

Fall Lügde: Viele Zeugen sprechen von mangelnder Kommunikation und Dokumentation

Der Untersuchungsausschuss versucht seit Sommer 2019 aufzuklären, wie es zu dem hundertfachen Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz im Lügde kommen konnte, ohne dass Behörden auf die kriminellen Vorgänge aufmerksam wurden. Im Mittelpunkt steht das Leid eines kleinen Mädchens, das vom Jugendamt im niedersächsischen Hameln zu einem - 2019 zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilten - Pädokriminellen auf den Campingplatz gegeben worden war.

Der Landrat war als Behördenleiter mit dem Thema befasst. Viele bisherige Zeugenaussagen haben auf mangelnde Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden und unzureichende Dokumentation der Fälle hingedeutet.

Die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Verena Schäffer, äußerte Unverständnis, wie sich ein Behördenleiter an Einzelheiten eines derart abscheulichen, bundesweit diskutierten Falls nicht erinnern könne - zumal Spieker in seiner einleitenden Stellungnahme im Ausschuss vorgetragen habe, wie nahe es ihm als Opa zweier kleiner Enkel gehe, wenn an unschuldigen Kindern Verbrechen begangen würden.

Ex-Landrat: Es habe keine Aktenmanipulation gegeben

Schäffer warf Spieker vor, er habe als Landrat nicht dafür gesorgt, dass die Akten noch mal von neutraler Seite aufgearbeitet werden, um aus dem Fall Lehren für die Zukunft zu ziehen. Spieker wies das zurück. Zu Fragen, ob im Fall Lügde nachträglich Akten ergänzt und damit manipuliert worden seien, sagte er, aus seiner Sicht habe es keine Aktenmanipulation gegeben, aber das habe die Justiz zu entscheiden.

Nachdem der Ausschussvorsitzende ihn nach abwechselnd vorgetragenen Erinnerungslücken, dann wieder Detailwissen und anschließenden Relativierungen ermahnte, er müsse umfassend und wahrheitsgemäß aussagen, versicherte Spieker: „Ich habe kein schlechtes Gewissen. Ich habe nix zu verbergen. Ich bin sehr offen.“ (dpa)