Essen. Unis Bochum und Duisburg-Essen überrascht von Strafmaßnahmen. Angesehenes Institut wurde 2013 von Essener Stiftung Mercator gegründet.

Überraschend sind die Universitäten Bochum und Duisburg-Essen in den Fokus chinesischer Strafmaßnahmen geraten. Auf die Sanktionen der Europäischen Union aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in der autonomen Region Xinjiang antwortete die chinesische Regierung prompt. Nicht nur war die Liste der ihrerseits mit Sanktionen belegten Personen und Institutionen fast dreimal so lang wie jene der EU.

Erstmals wurden auch Wissenschaftler und Forschungsinstitute mit Sanktionen belegt, darunter die besten Kenner des Landes und führende Stimmen der Chinadebatte in Europa. Betroffen ist auch das „Mercator Institute for China Studies“ (Merics) in Berlin. Das Institut wurde 2013 von der Stiftung Mercator mit Sitz in Essen gegründet und ist ein An-Institut der beiden Universitäten im Ruhrgebiet.

Renommierte Forschungseinrichtung

Merics gilt als die größte Forschungseinrichtung zu China in Europa. Es hat sich als bedeutende „Denkfabrik“ (Think Tank) etabliert und liefert Politikern, Wirtschaftslenkern und Wissenschaftlern seit Jahren fundierte Grundlagen und Analysen. Nach Ansicht von Experten kommt man an Merics nicht vorbei, wenn man sich fundiert über das Land informieren will.

Für überscharfe Kritik ist das Institut indes nicht bekannt. Die Studien beschäftigen sich unter anderem mit dem Seidenstraßenprojekt, dem Nationalen Volkskongress 2021, der Corona-Strategie des Landes oder mit dem Thema „100 Jahre Kommunistische Partei Chinas“. Aber auch eine Online-Veranstaltung mit dem Titel „Pekings Versuche, die Medien in Afrika und Europa zu beherrschen“ stand Ende Januar auf dem Programm. Ob dies ein Grund war, um das Institut auf die Sanktionsliste zu setzen, weiß niemand.

Merics von Strafmaßnahmen überrascht

Die FAZ zitiert die chinesische Parteizeitung „Global Times“, in der das Ziel der Strafmaßnahmen so beschrieben wird: „Die Verbindung (von Merics) mit China abzuschneiden bedeutet, dass dessen Forschungskanäle kaum mehr zukunftsfähig sein werden und sein Einfluss erheblich abnehmen wird.“ Das bedeutet im Klartext: Peking will steuern, wie über China berichtet wird.

Die Strafmaßnahmen trafen das renommierte Institut offenbar aus heiterem Himmel: „Es ist schon überraschend und eine neue Qualität, dass die chinesische Regierung im Zuge einer diplomatischen Auseinandersetzung mit der EU auch Forscher und Wissenschaftler sanktioniert“, teilt Merics auf Nachfrage mit. Der Schritt deute auf eine „erhebliche Nervosität Chinas angesichts der sich anbahnenden Annäherung von Brüssel und Washington in der Chinapolitik“ hin, meint Merics-Sprecherin Claudia Wessling.

Schwieriger Dialog mit China

Von den Sanktionen betroffene Personen und Familien dürfen demnach nicht mehr nach Peking, Hongkong oder Macao einreisen, Unternehmen und Institutionen sind Tätigkeiten im Land untersagt. Laut Merics werden die Sanktionen von chinesischer Seite mit „schweren Angriffen auf Chinas Souveränität“ begründet sowie mit dem „böswilligen Verbreiten von Lügen und Desinformation“ im Zusammenhang mit der Menschenrechtslage im Autonomie-Gebiet Xinjiang.

Schon zuvor sei es immer schwieriger geworden, in dem Land Feldforschung zu betreiben und Gesprächspartner zu finden. „Die Kommunistische Partei kontrolliert alle Bereiche des Lebens stärker und propagiert ihre ideologische Linie“, so Wessling. „Das wirkt sich auch auf den wissenschaftlichen Austausch aus, die chinesischen Gesprächspartner sind weniger offen im Umgang mit Ausländern und geben aus Vorsicht oft nur die offizielle Parteilinie wieder.“

Essener Stiftung finanziert Institut mit 15 Millionen Euro

Die Stiftung Mercator in Essen finanziert das China-Institut in der aktuell laufenden Förderphase von 2019 bis 2023 mit rund 15 Millionen Euro. Bei der Stiftung trifft der Schritt offenbar auf Unverständnis: Man stehe weiterhin „uneingeschränkt hinter Merics und der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen“. Merics habe sich internationales Renommee erarbeitet und forsche „gemäß höchsten wissenschaftlichen Standards“, teilt die Stiftung mit. Auf eine weitere Bewertung der Maßnahmen verzichtete die Stiftung.

Die Unis im Ruhrgebiet haben die chinesischen Strafmaßnahmen offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. Tagelang rangen sie um eine einheitliche Sprachregelung und einigten sich schließlich auf eine knappe Erklärung.

Experte: "China will Forscher mundtot machen"

„Unsere Zusammenarbeit ist bisher konstruktiv und intensiv verlaufen. Wir gehen davon aus, dass dies auch weiterhin so sein wird“, ließen die Professoren Markus Taube und Jörn-Carsten Gottwald für die Chinaforschung an beiden Unis ausrichten. „Sanktionen gegen einzelne Kolleginnen und Kollegen und Organisationen passen nicht zu einem pluralistischen, freiheitlichen Wissenschaftsverständnis und schaden allen.“

Deutlicher wird der deutsche Anthropologe Adrian Zenz, der ebenfalls auf die Sanktionsliste geriet. 2018 hatte der China-Experte eine Studie veröffentlicht, in der er die Existenz der Umerziehungs- und Internierungslager für Uiguren in Xinjiang akribisch nachwies. In einem Interview mit der „Welt“ sagte Zenz: „Der chinesische Staat schießt ganz gezielt gegen alle Institutionen, die sich kritisch mit dem Land befassen. Er handelt nach dem Freund-Feind-Prinzip und versucht, Forscher auf der ganzen Welt mundtot zu machen.“

>>>> Eine Gründung der Stiftung Mercator

Die Stiftung Mercator gründete 2013 das „Mercator Institute for China Studies“ (Merics) mit Sitz in Berlin. Es sollte eine wissenschaftliche Lücke füllen, da es in Deutschland aus Sicht der Stiftung zuvor keine praxis- und gegenwartsbezogene China-Forschung in Deutschland gab, obwohl die Bundesrepublik wichtige wirtschaftliche und politische Beziehungen zu China unterhalte.

Innerhalb weniger Jahre habe sich Merics zu einem der weltweit führenden Think Tanks in der China-Forschung entwickelt. Ziel sei es, „eine faktenbasierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Land zu ermöglichen und zu einer differenzierten öffentlichen Debatte“ beizutragen. „Es ist unsere Absicht, ein ausgewogenes China-Bild in der Öffentlichkeit zu vermitteln“, betont die Essener Stiftung.