Düsseldorf. Der Ruf nach Lockerungen wird in NRW vor den Bund-Länder-Gesprächen lauter. Doch noch überwiegt die Angst davor.
Bund und Länder stellen am Mittwoch die Corona-Maßnahmen auf den Prüfstand. Zeitgleich nimmt in NRW der Streit um Lockerungen Fahrt auf. Ein Überblick:
Die Regierungsfraktionen
Die Liberalen dringen auf zeitnahe Lockerungen. Zum Beispiel sollten Grundschulen und Friseursalons öffnen dürfen. Länder wie Hessen und Niedersachsen machten vor, dass auch die Regeln für Außensport großzügiger gefasst werden könnten, betont FDP-Landtagsfraktionschef Christof Rasche. Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) hat ein Fünf-Phasen-Modell für Lockerungen vorgelegt, das sich an Infektionszahlen, an der Situation in den Kliniken und an der Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten orientiert.
Familienminister schließt Grundschul-Öffnung zu Montag ausFamilienminister schließt Grundschul-Öffnung zu Montag ausFamilienminister schließt Grundschul-Öffnung zu Montag ausAnders beurteilt CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen die Lage: „Jeder Stufenplan birgt das Risiko, dass Erwartungen enttäuscht werden.“ Es müsse mit „maximaler Flexibilität“ auf Veränderungen der Coronalage reagiert werden. Sein Parteifreund und NRW-Gesundheitsminister, Karl-Josef Laumann, nennt das: „Auf Sicht fahren“.
Die Opposition
Es gebe „keinen Anlass für verfrühte Lockerungsübungen“, warnte SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty, lobte aber den Stufenplan-Vorstoß des Liberalen Stamp. Ein Stufenplan könne allen Menschen Perspektiven aufzeigen. Kutschaty hat ein eigenes Stufenmodell entworfen: Kern: Mehr und bessere Tests (auch auf Virusmutationen), unkomplizierteres Impfen (mehr Impfzentren, Terminvergabe nach Altersjahrgängen, Einbeziehung von Hausarztpraxen) und eine „Langfrist-Strategie“ für Öffnungen.
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Eine Verlängerung der Coronamaßnahmen sei wegen der Gefahren, die von den Virus-Mutationen ausgehen, „dringend geboten“, sagte Grünen-Fraktionschefin Josefine Paul. Sie forderte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) auf, den verunsicherten Menschen Perspektiven anzubieten. Ein Stufenplan mit Kriterien für Öffnungen und Schließungen müsse her. Die Schulen benötigten Planungssicherheit für Unterricht mit Wechselmodellen und kleineren Klassen.
Die AfD zweifelt am Sinn der Maßnahmen und an der Belastbarkeit der verfügbaren Pandemiedaten. „Lassen Sie uns mit dem Virus leben“, sagte Fraktionsvize Martin Vincentz.
Die Wirtschaft
Die Geduld vieler Einzelhändler, Gastronomen und Unternehmer ist am Ende. Der Präsident des Dachverbandes Unternehmer NRW, Arndt G. Kirchhoff, erklärte in dem "Wirtschaftsblog" seines Verbandes: „Ich unterstütze die Politik ausdrücklich in dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Aber monatelange Schließungen von Kitas und Schulen sowie wichtigen Teilen der Wirtschaft wird unsere Gesellschaft aber weder wirtschaftlich und sozialpolitisch noch bildungspolitisch verkraften.“ Kirchhoff rät auch dazu, die digitalen Möglichkeiten bei der Pandemiebekämpfung besser als bisher zu nutzen.
Die gebeulten Branchen fordern Perspektive und Unterstützung. Etwa für Friseure: Für viele Saloninhaber sei die Situation existenzbedrohend, sagte Harald Esser, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks und Chef des Friseur- und Kosmetikverbandes NRW, dieser Redaktion. „Wir brauchen jetzt vor allem schnelle finanzielle Hilfen“, alle warteten auf Abschlagszahlungen bei der Überbrückungshilfe III. Esser warnte zugleich vor den Auswirkungen des Lockdowns. Schwarzarbeit sei zum Problem geworden. „Friseurdienstleistungen sind aber nur in professionellen Salons sicher zu erbringen“, so Esser. Die 240.000 Friseure hofften auf den Neustart zum 15. Februar.
Der Verband Dehoga in NRW hat für die Hotel- und Gastronomiebranche einen eigenen Vier-Stufen-Öffnungsplan vorgelegt. In der ersten Stufe sollten bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 75 oder kleiner Hotels wieder für alle Gäste, im letzten Schritt bei einer Inzidenz von maximal 20 sogar Diskotheken aufmachen dürfen.
Eltern und Lehrer
Elternverbände sind besorgt über eine mögliche dritte Infektionswelle durch Corona-Mutationen. Sie würde die Belastungen der Familien noch massiv verstärken, schreibt ein Bündnis von Landesverbänden in einem offenen Brief an Bund und Länder. Die Eltern fordern, den Distanzunterricht so lange fortzusetzen, „bis die Neuinfektionen deutlich gesenkt wurden“, eine Maskenpflicht für alle Jahrgänge und Geld für Luftfilter in allen Klassen.
Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) mahnt zur Vorsicht. „Auch wir wollen, dass die Schüler wieder Präsenzunterricht erleben. Aber dann müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um den Gesundheitsschutz sicherzustellen. Dies sehen wir momentan nicht“, sagte VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. Der Verband fordert unter anderem mehr Corona-Tests in Schulen.
Die Kliniken
Die Zahl der Corona-Fälle auf den NRW-Intensivstationen geht zurück. Sind zum Jahreswechsel noch rund 1500 Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt worden, waren es am Dienstagmittag noch 727 Patienten. Mehr als jeder Zweite musste invasiv beatmet werden. Allerdings: In der ersten Coronawelle lag die Zahl der Covid-19-Patienten auf den NRW-Intensivstationen in der Spitze bei rund 650. Auf die Bremse treten deshalb vor allem Intensivmediziner: Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin mahnte, die strengen Corona-Maßnahmen müssten über Mitte Februar hinaus verlängert werden.
Gerade die Mutationen machen den Kliniken Sorge. Man sei vorsichtig, angespannt und in Habachtstellung, heißt es von der Krankenhausgesellschaft NRW. Aufmerksam beobachtet die Gesellschaft den Fortschritt bei den Impfungen: Bis zum Wochenstart hätten rund 147.000 Erstimpfungen in Kliniken stattgefunden, etwa 9700 Beschäftigte hätten bereits die zweite Impfung erhalten. Sorge bereitet auch die wirtschaftliche Lage: Nahezu alle Häuser hätten pandemiebedingte Erlösausfälle, doch immer weniger profitierten von Ausgleichzahlungen. Die Kliniken dringen daher auf Unterstützung.
Die Krankenkassen
Krankenkassenvertreter in NRW fordern, dass präventive Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen gestärkt werden. „Die Infektionszahlen vom Winter zeigen, dass wir als Gesellschaft beim Schutz in der Pflege Fehler gemacht haben“ sagte Reinhard Brücker, Vorstandsvorsitzender der „Viactiv“ mit Sitz in Bochum, dieser Redaktion. „Hier muss die Politik nachbessern, damit mehr getestet und mehr FFP2-Masken bereitgestellt werden können.“
Dirk Janssen, stellvertretender Vorstand des BKK Landesverbandes Nordwest, forderte bundesweit einheitliche Perspektiven beim Thema Lockerungen. „Es darf am Ende nicht so sein, dass die Ergebnisse des Gipfels wieder von Bundesland zu Bundesland verschieden ausgelegt werden“, so Janssen. „Politik muss klare Kriterien für Lockerungen nennen, sonst drohen wir Akzeptanz in der Bevölkerung zu verspielen.“