Essen. Vor dem Start der Impfzentren am Montag fordert NRW-Städtetag-Vize und Essener OB Thomas Kufen Härtefall-Lösungen für jüngere Impfwillige.

Auf diesen Tag haben viele Menschen in NRW gewartet: Am Montag gehen die 53 zentralen Impfzentren den Landes an den Start, um Menschen ab 80 Jahren, die zuhause leben, gegen das Coronavirus zu impfen. Warum es auch Härtefall-Lösungen für jüngere Impfwillige geben muss, was sich an der Terminvergabe ändern sollte und welche Corona-Lockerungen nötig sind, darüber spricht der Essener Oberbürgermeister und neue Vize-Vorsitzende des Städtetags NRW, Thomas Kufen (CDU), im Interview.

Herr Kufen, am Montag gehen die Impfzentren in NRW an den Start. Sind Sie froh oder nervös?

Thomas Kufen: Eine gute Mischung. Unsere Zentren sind startklar und wir freuen uns, dass es endlich losgeht. Wir haben aber natürlich auch Unsicherheiten. Wir wissen nicht, wie groß die Termintreue ist und auch nicht, wie viele Personen möglicherweise ohne Termin oder Berechtigung kommen. Da erwarten wir Diskussionen vor Ort. Wir stellen aber auch fest, die Menschen sind zunehmend angespannt, weil es nicht so schnell vorangeht.

Wie sehr kommt das bei einem Oberbürgermeister an?

Sehr. In den Rathäusern in ganz Deutschland kommen Briefe oder E-Mails an, Bürger rufen uns an. Es geht dabei auch um Härtefälle, die uns als Städte in Konflikte bringen. Ich habe da den Fall einer Mutter mit einer schwerst-mehrfach behinderten Tochter vor Augen, die seit März nicht mehr vor der Tür war, weil sie ihre Tochter nicht gefährden möchte. Solche Fälle häufen sich in allen Städten und dafür braucht es eine klare Orientierung des Landes. Die fehlt bislang.

„Manche Fälle lassen sich nicht strikt nach Impfordnung entscheiden“

Mehr Entscheidungsfreiheit für die Städte also?

Erste Städte richten Härtefallkommissionen mit Vertretern von Kirchen und der Ärzteschaft ein. Wir wollen keine Einzelfallentscheidungen treffen, wir wollen eine Orientierung durch genauere medizinisch-ethische Vorgaben von Bund und Land. Am besten wäre auf Landesebene eine Stelle, die über Härtefallanträge entscheidet. Dann würden vergleichbare Fälle nicht unterschiedlich entschieden. Im Fall dieser Mutter kann ich nicht nach Paragraf xy antworten oder strikt auf die Impfverordnung verweisen. Diesen Fall bildet die Impfverordnung nicht eindeutig ab.

Die Impfzentren standen schon Mitte Dezember bereit, jetzt geht es mit gezogener Handbremse los. Wie groß ist Ihre Sorge, dass Akzeptanz in der Bevölkerung verspielt wird?

Ich nehme das genau andersherum wahr. Der Drang, einen Termin zu bekommen, ist eher höher. In Essen hat Stand heute etwa jeder zweite Berechtigte einen Impftermin erhalten.

Impfzentren könnten schon im Sommer wieder schließen

Die 81-Jährigen müssen aber durch die halbe Stadt fahren. Wie zufrieden kann eine Stadt damit sein?

Die Kommunen haben zentrale, gut zu erreichende Standorte ausgewählt. Vor dem Hintergrund der Knappheit und der Beschaffenheit des Impfstoffes ergibt es auch für eine Großstadt wenig Sinn, mehrere Zentren zu öffnen. Klar ist aber auch: Mit den Impfzentren werden wir keine Herdenimmunität erreichen. Dazu braucht es die Impfung beim Hausarzt. Wir rechnen damit, dass wir die Impfzentren im Sommer wieder schließen können.

So lange müssen Senioren mit Taxi, Fahrdienst und dem Bus fahren, je nach Stadt komplett auf eigene Kosten. Wieso gibt es da kein einheitliches Konzept für ganz NRW?

Weil die Kostenübernahme, die wir von Land und Bund erbeten haben, immer noch nicht geklärt ist. Jede Stadt findet also eine eigene Lösung, von der Fahrrad-Rikscha bis zum ehrenamtlichen Bürgerbus. Wir sammeln jetzt Erfahrungen. Sind die Hürden zu groß, muss neu überlegt werden. Unsere Erfahrung ist aber auch, dass acht von zehn Impfterminen online ausgemacht wurden. Das zeigt doch, es gibt die wichtige Unterstützung im persönlichen Umfeld.

NRW-Städtetag-Vize fordert Impfgruppen bei der Terminvergabe

Was muss aus Sicht der Städte an der Impfterminvergabe anders werden?

Wenn eine Million Menschen am Stichtag X zum Telefon greifen sollen, kann das nicht glatt laufen. Jeder, der schon einmal versucht hat, Karten für ein Helene-Fischer-Konzert zu bekommen, hätte das wissen können. Der klare Wunsch der Städte ist, dass in der nächsten, sehr viel größeren Personengruppe nicht an alle auf einmal, sondern in kleineren Kohorten Termine vergeben werden.

Wie viel von dem Chaos haben Sie selbst mitbekommen?

Alle, die an den Hotlines und Portalen nicht durchgekommen sind, haben andere Nummern angerufen, um sich Hilfe zu suchen. Auch den Oberbürgermeister ihrer Stadt. Die Ansagen der Leute waren bei uns sehr klar, wir leben im Ruhrgebiet. Manche haben geweint, andere waren wütend. Und ich habe das verstanden.

Der Bund will nun einen Impfplan aufstellen, um auch NRW mehr Planungssicherheit zu geben. Haben die Städte die damit?

Nein. Wir fahren weiter auf Sicht, aber nach Plan. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir für jede Woche genau wissen, wann welche Lieferungen kommen. Der Impfgipfel des Bundes hat gezeigt, dass es mit solchen Zusagen nicht so einfach ist. Nötig ist aber, dass die Städte bei der nächsten Impfstufe frühzeitig von der Landesregierung eingebunden werden und frühzeitig bei der Frage beteiligt werden, wie wir durch das zweite Impfquartal kommen.

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Wie nehmen Sie die Stimmungslage in der Bevölkerung wahr?

Viele haben den Kaffee auf. Die Hoffnung, dass man bald nach dem Start der Impfungen wieder dicht gedrängt im Fußballstadion stehen, ins Theater oder Restaurant gehen kann ist weiter in die Zukunft gerückt. Vielleicht waren das auch falsche Erwartungen.

In vielen Städten entspannt sich die Lage doch, in Münster etwa. Wieso belohnen diese Städte ihre Bürger nicht?

Münster hat doch kein Interesse daran, dass das ganze Ruhrgebiet bald zum Shoppen kommt. Ich warne auch vor einem Flickenteppich. Gerade in einer Region wie dem Ruhrgebiet, wo Stadtgrenzen über Straßen gehen, versteht doch keiner, warum die Kneipe auf der einen Seite auf und auf der anderen geschlossen ist. Nein, da müssen wir jetzt gemeinsam durch.

Hoffnung auf Lösung für Friseursalons und Sportvereine

Die nächste Bund-Länder-Runde steht bevor. Was erwarten Sie?

Ich hoffe, dass die vergangenen Tage genutzt wurden, jede Branche mit ihren Hygienekonzepten genau anzuschauen und auf Lockerungen zu einem nächstmöglichen Zeitpunkt abzuklopfen. In anderen Staaten gibt es auch Wege, etwa die Friseursalons wieder zu öffnen. Und wir brauchen eine Perspektive für Sportvereine. Es kann vielleicht keinen Mannschaftssport geben, aber in unseren Städten gibt es Anlagen, in denen man unter pandemischen Bedingungen Sport treiben kann.

Wann rechnen Sie damit, dass das Leben wieder in normalen Bahnen laufen kann?

Da will ich nicht mutmaßen. Jeder bekommt doch mit, dass unser Leben nicht mehr eins zu eins so sein wird wie vor dem 27. Januar 2020, dem Tag des ersten Corona-Falls in Deutschland. Im Positiven wie im Negativen. Dicht gedrängt wird es so schnell nicht wieder geben. Aber die digitalen Möglichkeiten werden bleiben. Gerade bei der Digitalisierung von Schulen sind wir ein gutes Stück vorangekommen.