Bochum. Verordnung sei kaum zu kontrollieren, sagt der Bochumer Grundrechtsexperte Stefan Huster. “Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.“
Der Bochumer Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Regionalverordnung des Landes, die die Bewegungsfreiheit der Menschen in Corona-Hotspots auf einen 15-Kilometer-Radius begrenzt. Die Regelung sei zu pauschal und außerdem kaum zu kontrollieren, so der Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Uni Bochum. Dies schränke den Sinn der Vorgabe ein und mindere die Akzeptanz.
Zudem müsse sie für alle Landkreise und kreisfreien Städte mit einem hohen Inzidenzwert gleichermaßen gelten. „Ausnahmen darf nur aus guten Gründen wie einer niedrigeren Infektionszahl geben“, sagte Huster unserer Redaktion. Betroffen von der neuen Verordnung sind indes bislang die Kreise Höxter, Minden-Lübbecke, Recklinghausen und der Oberbergische Kreis. Nicht aber die Städte Bielefeld, Bottrop und Gelsenkirchen, wo am Montag die kritischen Werte von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen ebenfalls überschritten wurden.
Prof. Huster, ist eine solche Einschränkung der Bewegungsfreiheit rechtmäßig?
Stefan Huster: Grundsätzlich ist eine Situation denkbar, dass die Bewegungsfreiheit der Bürger eingeschränkt werden muss, wenn das die Verbreitung des Virus rechtfertigt. Doch die jetzt verfügten Einschränkungen sind massiv und pauschal. Es ist fraglich, ob man den Menschen sagen kann, ihr dürft nicht weiter als 15 Kilometer fahren. Wer zum Beispiel eine Ausfahrt mit einem Motorrad macht, erhöht nicht das Ansteckungsrisiko. Die Regelung schießt über das Ziel hinaus.
Kann man davon einzelne Städte oder Kreise ausnehmen?
Es geht nicht, dass sich einzelne Kreise oder Städte aussuchen, ob sie sich daran halten. Politischer Widerstand einzelner Oberbürgermeister darf nicht zu Ausnahmen führen. Das ist rechtlich nicht möglich. Entweder die Verordnung gilt, oder sie gilt nicht. Da müssen gleiche Kriterien für alle gelten.
Sie sind Einschränkungen der Grundrechte verhältnismäßig?
Es ist eine Grenzfall. Wenn die Infektionswerte überall ähnlich hoch sind, macht eine solche Regelung keinen Sinn mehr. Deshalb muss die Politik die Situation beobachten gegebenenfalls nachsteuern. Doch eine solche Einschränkung grundsätzlich abzulehnen, geht auch nicht.
Wie soll die Einhaltung der Verordnung kontrolliert werden?
Das ist die große Frage. Die Verhältnismäßigkeit der Regel hängt davon ab, ob sie mit Augenmaß kontrolliert wird. Man darf hier die Regel nicht zu eng auslegen. Denn es soll ja eigentlich verhindert werden, dass sich in die Skigebieten erneut Hotspots entwickeln.
Könnten Bürger gegen die Regelung klagen?
Ja, etwa gegen einen verhängten Bußgeldbescheid. Im Zuge dessen würde das Gericht auch die Rechtmäßigkeit der Regionalverordnung prüfen. Wenn die Verordnung zu eng ausgelegt wurde, wäre es denkbar, dass ein Gericht sie als unverhältnismäßig ansieht. Daher würde ich jetzt nicht anfangen, alle Leute zu kontrollieren, die über die Landstraße fahren.
Müsste die Politik nicht auch die mögliche Akzeptanz der Maßnahmen berücksichtigen?
Es ist ein Gebot der politischen Klugheit, dass man mit pauschalen Maßnahmen die Toleranzschwelle der Menschen nicht sprengen sollte. Denn dies hätte dann auch Auswirkungen auf andere Corona-Maßnahmen. Aber das ist kein juristisches Argument. Das Recht will das Verhalten der Menschen steuern. Die Frage ist, ob die Regelung auch Steuerungswirkung hat. Wenn die Menschen sie für überzogen halten, wird es kontraproduktiv.
Aber die Distanz-Regel ist doch in der Praxis kaum zu kontrollieren?
Wenn ein Gesetz im Grundsatz einen reinen Appell-Charakter hat, wird die Regelung unglaubwürdig. Die Gesetzesanwendung gerät in Gefahr, willkürlich zu werden, weil sie nur punktuell durchgesetzt werden kann, etwa wenn man zufällig einen Autofahrer erwischt und bestraft. Dann stellt sich die Frage nach dem Sinn der ganzen Verordnung. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.
Was wäre eine sinnvolle Lösung?
Statt pauschal die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, müssten die Maßnahmen zielgenauer sein und besser erklärt werden, denn es ist ja der Versuch, Szenen wie zuletzt in Winterberg zu vermeiden. Aber das ist viel schwieriger.