Essen. Corona als Prüfung: Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ruft die Menschen dazu auf, sich in der Weihnachtszeit nicht entmutigen zu lassen.

Die Politik stimmt die Bürger auf ein entbehrungsreiches Weihnachtsfest ein. Wird es ein Fest des Verzichts?

Franz-Josef Overbeck: Das Weihnachtsfest wird anders sein als in den letzten Jahren und Jahrzehnten, geprägt von wesentlich weniger Begegnungen, weniger Familienfeiern und kleineren Gottesdiensten, was gerade für uns Christen bedeutsam ist. Es wird ein sehr anderes Fest als wir es hätten feiern wollen.

"Alle müssen sich klug verhalten"

Wie können Christen das Fest in Zeiten der Pandemie begehen?

Im privaten Rahmen ist das Feiern möglich – wenn auch nur im kleinen Kreis. Alle müssen sich eben weiterhin klug verhalten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Das hat natürlich auch Folgen für die Gottesdienste. Wir haben lange überlegt, sie in viel größeren Räumen zu feiern, als es im Essener Dom möglich ist. Um möglichst vielen Menschen dennoch einen Gottesdienst zu ermöglichen, bieten Pfarreien und Gemeinden rund 50 Prozent mehr Gottesdienste an den Feiertagen an.

Früher suchten die Menschen in Zeiten der Pandemie Zuflucht und Heil im Glauben – gilt das heute noch?

Früher wurden Krankheiten oft in einen Zusammenhang von Sünde und Schuld gestellt. Es musste etwas für Gott getan werden, um das Übel abzuwenden. Das ist heute anders. Die Corona-Pandemie ist kein apokalyptisches Ereignis, kein Strafprozess Gottes. Wir können sie aber als Prüfung verstehen, aus der wir hoffentlich etwas lernen werden. Sie lädt uns ein zu fragen: Wie lebe ich mit Gott? Und was tue ich für die Menschen und für mich selbst, um sicher und gut leben zu können.

Folgen für die Arbeitsplätze

Haben Politiker und Virologen in diesen Zeiten die Stimme der Kirche ersetzt?

Die Stimme der Kirche ruft uns auf, mit Gott und in Achtsamkeit mit den Menschen zu leben, damit niemand Schaden erleidet. Das sind ethische Grundsätze, die für alle gelten. Wir leben zudem in Zeiten, in denen die Rolle der Kirchen wie auch der Religion darin besteht, Frieden zu stiften und mit dafür zu sorgen, dass nicht Verschwörungsideologen und andere Raum gewinnen, sondern wir dafür einstehen, die Vernunft recht zu gebrauchen, um dem Gemeinwohl zu dienen.

Viele Menschen haben Sorgen um ihre Existenz. Was kann die Kirche raten?

Die Pandemie wird spürbare Folgen für die Arbeitsplätze vieler Menschen haben. Hier ist unsere Solidarität gefragt. Die Pandemie darf nicht zu noch mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen. Manche Teile der Bevölkerung können auch unter Corona-Bedingungen gut leben, während andere in ihrer Gesundheit oder in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. Es darf nicht sein, dass wir Teile der Gesellschaft zurücklassen. Die Bedürftigen und Schwachen, die Ausgeschlossenen, die Kranken und die Alten, aber auch die Familien benötigen unsere Aufmerksamkeit. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Die Kirche hat die Aufgabe, Menschen in Not aufzuhelfen. Sie tut viel, um die sozialen Folgen zu mildern und das Sozialsystem des Staates zu unterstützen, etwa in Kitas, Krankenhäusern, Schulen, Altenheimen oder Hospizen.

"Die Fliehkräfte der Gesellschaft erfüllen mich mit Sorge"

Derzeit bilden sich Allianzen von Verschwörungsanhängern und Kritikern, die die staatlichen Maßnahmen ablehnen. Wie kann man diese Menschen ins Boot holen?

Die Politik muss ganz klar sagen, wohin der Weg führen wird. Sie tut das auch mit dem Zuspruch der großen Mehrheit der Bevölkerung. In einer Demokratie aber muss man auch mit Widerspruch leben. Die Frage ist, bis zu welchem Punkt solche Proteste dem Recht auf freie Meinungsäußerung entsprechen und wann sie das Gemeinwohl gefährden und großen Schaden anrichten. Für unser Zusammenleben in einer Demokratie ist es brandgefährlich, wenn deren Grundfesten infrage gestellt werden, wenn Antisemitismus, Rassismus und Hetze aufflammen. Die Fliehkräfte, die offenkundig werden, erfüllen mich mit Sorge.

Viele Menschen besuchen nur zu Weihnachten einen Gottesdienst – kann die Pandemie dazu führen, dass diese sich endgültig von der Kirche verabschieden?

Es gibt schon lange einen Prozess, der die Bedeutung der Kirche für den christlichen Glauben infrage stellt. Die Formen der Religionsausübung sind anders geworden. Immer weniger Menschen bekennen sich zur Kirche, das beschäftigt mich sehr. Dennoch beobachten wir auch gerade jetzt Aufmerksamkeit, Solidarität und Achtsamkeit für den Nächsten.

"Die Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger"

Kann Corona den Trend zum Kirchenaustritt beschleunigen?

Die Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Sie macht Probleme offensichtlich, die schon lange schwelten. Das können wir auch an den jüngsten Austrittszahlen ablesen. Wer einen persönlichen Glauben haben mag, sich aber nicht kirchlich gebunden fühlt, der wird jetzt womöglich schneller gehen, vielleicht auch aus finanziellen Gründen. Verbunden mit dem Missbrauchsskandal und seinen Folgen haben sich die Gründe für einen Austritt aus Sicht mancher nun vervielfacht.

Welche Hoffnung kann die Kirche den Gläubigen in diesen Krisenzeiten geben?

Hoffnung ist für Christen eine Haltung, mit der wir auf die Zukunft zugehen. Das heißt, es lohnt sich immer, in das was kommt zu investieren. Sie bedeutet auch, Gott zu vertrauen. Bestätigt wird das dadurch, dass trotz des Abstandsgebots in unserer Gesellschaft die Zeichen der Wärme und Zuneigung überwiegen.

"Eine Krise hat nie das letzte Wort"

Corona hat nicht das letzte Wort, sagten Sie kürzlich. Wie meinten Sie das?

Ständig über die Pandemie und ihre Folgen zu reden kann dazu führen, dass man sich bei dem aufhält, was nicht geht. Eine Krise hat nie das letzte Wort. Wir sind trotz allem Menschen, die in Frieden leben und Glück erfahren wollen. Es gibt viele Menschen, die täglich beweisen, dass diese Kräfte größer sind als die negativen Kräfte.

Welche Botschaft möchten Sie den Menschen zu Weihnachten mitgeben?

Fürchtet Euch nicht! Dieser Aufruf der Engel sowohl in der Weihnachts- als auch in der Ostererzählung ermutigt uns Christen dazu, uns nicht von Furcht regieren zu lassen. Vielmehr gilt: Es ist wie es ist. Wir müssen sehen, was heute möglich ist und uns darüber freuen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung. Meine Botschaft zu Weihnachten lautet daher: Hört nicht auf, anzufangen!