Essen. Nach den Streiks im öffentlichen Dienst kommen Gewerkschaften und Arbeitgeber ab Donnerstag wieder an den Verhandlungstisch.

Kaum ein Bundesland ist so massiv von den Warnstreiks im öffentlichen Dienst betroffen gewesen wie NRW: Mehr als 100.000 Menschen sind den Aufrufen der Gewerkschaften in den vergangenen Tagen gefolgt und haben mitten in der Pandemie auch Kritik provoziert. Umso größer ist nun der Druck auf Gewerkschaften und Arbeitgeber, wenn sie am Donnerstag und Freitag in Potsdam in einer entscheidenden dritten Runde über mehr Lohn für die Beschäftigten der Städte und des Bundes verhandeln. Die steigenden Corona-Infektionszahlen könnten das Zünglein an der Waage sein.

Wie ist die Ausgangslage?

Vertrackt. Denn in dem Tarifkonflikt geht es auch um diejenigen, die in der ersten Hochphase der Pandemie besonders angepackt haben. Nach dem hohen Einsatz rufen Kräfte in der Pflege, Gesundheits- und Ordnungsämtern „Jetzt sind wir dran“ und entsprechend hoch ist der Druck auf die Gewerkschaften. Zugleich schränkt die Corona-Krise den Handlungsspielraum der Arbeitgeber ein. Allein für die NRW-Städte werden Etatlöcher von knapp drei Milliarden Euro für 2021 und ähnlich große Lücken in den beiden Folgejahren vorausgesagt.

Um wen geht es?

Laut Verdi werden von der Tarifrunde gut 2,4 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes. In NRW sind es 550.000 Beschäftigte. Sollten die Ergebnisse auf Bundesbeamte übertragen werden, betrifft dies rund 340.000 aktive Beamte und 185.000 Pensionäre.

Was fordern die Gewerkschaften?

Verdi und der Beamtenbund DBB fordern als Verhandlungsführer bei einer einjährigen Laufzeit 4,8 Prozent mehr Geld, mindestens 150 Euro mehr im Monat. Azubis sollen 100 Euro mehr im Monat bekommen. Die Arbeitnehmer weisen die Forderung als zu hoch angesichts der Krise zurück. In der Tarifrunde 2018 lagen die Forderungen bei sechs Prozent.

Was bieten die Arbeitgeber an?

Die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) und der Bund schlagen 3,5 Prozent mehr Lohn über drei Jahresstufen vor und verschiedenste Zulagen. Das Angebot würde sie fast fünf Milliarden Euro kosten, die lange Laufzeit aber Planungssicherheit geben. Die Arbeitgeber drängen zugleich darauf, die Sonderzulage an die bundesweit rund 175.000 Sparkassenbeschäftigten stufenweise abzubauen. Verdi spricht von einer „Klatsche für die Beschäftigten“. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat ausgerechnet, dass Beschäftigten nach den drei Jahren durchschnittlich nur 2,0 Prozent mehr Lohn bleibe. Von einer Corona-Sonderzahlung in Höhe von 300 Euro seien zudem Berufsgruppen ausgenommen.

Gibt es Übereinstimmungen?

Beide Tarifparteien wollen die in der Krise belasteten rund 422.000 Beschäftigten im Bereich Gesundheit und Pflege stärken. Die Gewerkschaften fordern etwa einen Pflegezuschlag von 300 Euro. Profitieren würden davon in NRW zwar zunächst nur ein Teil aller Pflegekräfte, da etwa kaum noch Kliniken in öffentlicher Hand sind. Gabriele Schmidt, Landesleiterin von Verdi, verweist aber auf viele Arbeitgeber, die sich am Tarif des öffentlichen Dienstes orientieren. „Wir setzen auf die Sogwirkung“, so Schmidt. Die Arbeitgeber schlagen Sonderzahlungen für Gesundheitsamtsmitarbeiter, eine monatliche Pflege-Prämie von 50 Euro und höhere Schicht-Zulagen vor.

Wieso blicken Ruhrgebietsstädte besonders auf die Verhandlungen?

Tarifabschlüsse sind für die Städte mit ihren 2,2 Millionen Tarifbeschäftigten besonders teuer. Ein Prozentpunkt mehr Geld kostet sie mehr als eine Milliarde. Die eh angespannte Finanzlage vieler Ruhrgebietsstädte wird in der aktuellen Krise nun verschärft. Beispiel Mülheim: Der Vorschlag der Arbeitgeber führe bis 2023 schrittweise und ab 2024 dauerhaft zu einer Belastung von 4,8 Millionen Euro, rechnet Stadtkämmerer Frank Mendak vor. Infolge der Corona-Krise fehlten ab 2021 aber jedes Jahr rund 30 bis 40 Millionen Euro in der Stadtkasse. „Das Angebot der Arbeitgeber ist das Maximale, was wir leisten können“, so Mendak.

Was hat die Pandemie noch mit den Verhandlungen zu tun?

Verdi bemüht das Bild, dass es in der Tarifrunde um Löhne für "Corona-Helden" gehe und verweist auf den hohen Einsatz vieler Beschäftigter in der der Pandemien. Die Arbeitgeberseite relativierte dieses Bild unlängst: „Zahlreiche Beschäftigte haben während des Lockdowns über Wochen hinweg nicht arbeiten müssen – das Geld kam trotzdem pünktlich“, so VDK-Chef Mädge. Thorsten Schulten von der Hans-Böckler-Stiftung kritisiert diese Darstellung und verweist auf drohende Pensionswelle in den Verwaltungen: „Die Lohnlücke zur Privatwirtschaft muss deshalb weiter geschlossen werden.“

Wie stehen die Chancen auf eine Einigung?

Mädge sagte der Süddeutschen Zeitung, durch die Verschärfung der Pandemie gebe es einen besonderen Druck, jetzt abzuschließen. Ähnlich sieht das Verdi-Landesleiterin Schmidt: „Beide Seiten hätten ein Kommunikationsproblem, wenn es nicht zu einer Einigung kommt." Die Verhandlungen am 22. und 23. Oktober laufen wegen der Infektionslage übrigens anders als sonst: Um den Teilnehmerkreis in Potsdam klein zu halten, werden auch Videokonferenzen eingesetzt.