Düsseldorf. Lale Akgün (SPD) schlägt Alarm: Islamisten machen Pädagogen das Leben schwer. Gewerkschaften sehen die Gefahren aber woanders.
Nach der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty durch einen 18-Jährigen warnt die Kölner SPD-Politikerin Lale Akgün vor Bedrohungen, denen Pädagogen auch hierzulande von Islamisten ausgesetzt seien. Anlässlich der Gewalttat von Paris notierte die Ex-Bundestagsabgeordnete auf Facebook: „Es haben mir viele Lehrer geschrieben, die von Ihrer Angst vor Klassen mit bestimmtem Jugendlichen berichten. Jugendliche, die mit verbaler Gewalt Meinungsvielfalt im Klassenzimmer unterdrücken wollen; die den Lehrer offen oder verdeckt drohen und ihre Weltanschauung unwidersprochen im Klassenverband durchsetzen wollen.“ Viele Lehrer seien hilflos angesichts dieser „patriarchalen Wucht“.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) teilt diese konkrete Sorge nicht, warnt aber vor einem Trend: „Jeder Fall, in dem ein Lehrer wegen der Meinungsfreiheit bedroht wird, ist einer zu viel“, sagte VBE-Landeschef Stefan Behlau dieser Redaktion. „Wir sehen in unseren Umfragen, dass es zunehmend Gewalt gegen Lehrer gibt, und in Einzelfällen sind auch Unterrichtsthemen der Anlass für Gewalt.“
Angriffe auf die Meinungsfreiheit
Die Enthauptung eines Lehrers durch einen 18-Jährigen in Frankreich weckt weltweit Entsetzen. NRW scheint weit entfernt zu sein von einer solchen Bluttat, aber die frühere Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) berichtet von Lehrern, die sich bei ihr gemeldet hätten, weil sie sich vor islamistischen Schülern fürchteten. Große Lehrerverbände in NRW können diese speziellen Gefahren nicht bestätigen. Sie sagen aber, mancherorts werde die Meinungsfreiheit in den Schulen eher von christlich-fundamentalistischen Familien bedroht.
Lale Akgün warnt vor Schülern mit „patriarchalem Weltbild“, die Pädagogen das Fürchten lehrten. „Jugendliche, die mit verbaler Gewalt Meinungsvielfalt im Klassenzimmer unterdrücken wollen; die den Lehrern … drohen und ihre Weltanschauung unwidersprochen im Klassenverband durchsetzen wollen. Lehrinhalte werden in Frage gestellt, Lehrer beschimpft, Mitschüler mundtot gemacht“, schreibt sie auf Facebook, Das Problem gehe schon los, wenn ein Lehrer in kurzen Hosen vor der Klasse erscheine und angeblich die Schamgrenzen der Schüler verletze. Sollte dieses Phänomen weit verbreitet sein, wäre es an der Zeit, „den Mund öffentlich aufzumachen“, so Akgün.
Probleme mit streng religiösen Eltern
Spielen sich in NRW-Schulen islamistische Jugendliche zu Sittenwächtern auf, die Lehrer und Mitschüler unterdrücken? „Wir haben keine Hinweise darauf“, sagte Sebastian Krebs, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW, auf Nachfrage. Krebs berichtet aber von Versuchen „von christlich-fundamentalistischer Seite“ und von Anhängern einer „reaktionären Bewahrungspädagogik“, die Meinungsfreiheit in den Schulen zu unterdrücken. Da warnten mancherorts „besorgte Eltern“ vor einer angeblichen „Frühsexualisierung“ der Kinder in den Schulen. In Gewerkschafterkreisen ist von „Besorgnis erregenden Eltern“ die Rede, die mit Toleranz nichts anfangen könnten.
Stefan Behlau, Vorsitzender des Verbandes Erziehung und Wissenschaft in NRW, bekommt ähnliche Rückmeldungen: „Es hängt sehr von der Lage der Schulen ab. Wenn im Umfeld islamische Fundamentalisten leben, wie zum Beispiel in Teilen Bonns, dann kann von dieser Seite der Versuch kommen, die Meinungsfreiheit im Unterricht zu behindern“, sagt Behlau. Im Rhein-Sieg-Kreis, im Oberbergischen und anderen Teilen NRWs hätten Lehrer eher Schwierigkeiten mit christlichen Fundamentalisten. „Diese Kreise versuchen viel häufiger als muslimische Familien, ihre Kinder vom Schwimmunterricht fernzuhalten oder eine Klassenfahrt zu vermeiden.“
Harry-Potter-Geschichten gelten in manchen Kreisen als "Teufelszeug"
Manchmal fielen Schüler aus solchen Familien durch seltsames Verhalten auf, so Behlau. Da drehten sich Kinder bei Lehrvideos im Unterricht einfach zu Wand, um nicht hinsehen zu müssen. Andere lehnten es ab, in der Schule über „Harry Potter“ zu reden, weil in diesen Romanen Hexen und Zauberer vorkommen, die in fanatisch-religiösen Kreisen als „Teufelszeug“ gelten.
Die bekannte Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor aus Duisburg rät nach dem Warnruf von Lale Akgün zur Differenzierung: „Fakt ist: Lehrer werden mehr hinterfragt. Ihre Aussagen durchaus kritisch ,überprüft'. Es wird mehr diskutiert, weil junge Menschen sich durch unterschiedliche Medien und Kanäle informieren und mit Menschen diskutieren wollen, die letztlich dafür da sind, diesen Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen.“
Lamya Kaddor: "Lehrer brauchen einen soliden Standpunkt und Haltung"
Kaddor empfindet das Diskutieren und Hinterfragen als gewinnbringend. „Das gehört zur Schule der Zukunft dazu.“ Lehrer sollen nicht nur Monologe halten, sondern in die Moderatorenrolle wechseln. „Aber dafür braucht man natürlich einen soliden Standpunkt und Haltung, die gerade bei politisch anspruchsvollen Themen nicht immer da ist und die Bereitschaft, selbst hinterfragt zu werden.“ Kaddor, die für die Grünen in den Bundestag einziehen möchte, stellt klar, dass Angriffe auf Lehrer natürlich durch nichts zu rechtfertigen seien.
„Ich würde das Thema Meinungsfreiheit nicht ausgerechnet anhand von Mohammed-Karikaturen behandeln“, sagt der Düsseldorfer Bildungsforscher Klaus Spenlen. Auch in Deutschland würde das in vielen Schulen zu heftigen Reaktionen führen, meint der Autor zahlreicher Lehrerleitfäden zum Thema Schule und Islam.
Bildungsforscher Spenlen: Muslime sind in Deutschland weniger ausgegrenzt als in Frankreich
Das bedeute eine Einschränkung der pädagogischen Freiheit, denn viele Lehrkräfte würden solche Themen aus Angst vor Angriffen, Ärger oder Mobbing meiden. Das gelte aber nicht nur gegenüber muslimischen Schülern: „Das kann man aber auch auf die christlichen Kirchen beziehen“, sagt Spenlen. „Bei Themen wie Aufklärung, Sexualmoral, Biologie oder Emanzipation der Frauen ist eine Lehrkraft auch nicht immer so frei, wie sie es vielleicht gerne wäre.“
Muslime in Deutschland seien weniger isoliert und ausgegrenzt als in Frankreich, wo eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion herrsche. Deshalb sei das Klima in Deutschland nicht so spannungsgeladen, glaubt Spenlen. Aber auch hier seien an Schulen Themen wie Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Macho-Gehabe ein Problem.