Essen. Die erste Biografie über NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zeigt viele Facetten einer für den Politikbetrieb ungewöhnlichen Persönlichkeit.
„Technisch war das nicht nachvollziehbar, aber zielführend war es schon.“ Das ist der Satz eines alten Weggefährten über Armin Laschet. Er bedeutet so viel wie: unerwartet erfolgreich. Seine Botschaft (zwar galt sie einem gemeinsamen Hausbau, aber was ist Politik anderes?!) findet sich als reich variiertes Thema in einer jetzt erscheinenden Biografie des CDU-Politikers. Dass es die erste über den 59-Jährigen ist, sagt nicht zuletzt etwas über die Karriere eines lange Unterschätzten.
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Ihre Autoren kennen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten aus jener Nähe, die ihr Beruf fordert. Beide Journalisten sind Landeskorrespondenten in Düsseldorf. Tobias Blasius begegnete Laschet freilich schon Anfang des Jahrhunderts als Europaabgeordnetem in Brüssel. Moritz Küpper begleitete Laschets Weg seit dessen Tagen auf der Oppositionsbank am Rhein.
Laschet im „Daktari“-Kostüm beim Kinderkarneval
Im Bauch jener Frage, die jede Biografie trägt (Wer ist er?), wuchert im Jahr 2020 freilich längst eine größere: Kann der Mann Kanzler? Blasius und Küpper gängeln den Leser nicht mit Antworten. Sie bieten ihm ein akribisch zusammengetragenes Mosaik. Wir treffen Laschet im „Daktari“-Kostüm beim Kinderkarneval, erblicken einen 15-Jährigen, den der Aufenthalt in der Fußgängerzone seiner Heimat Aachen-Burtscheid unversehens zur CDU führt. Wir staunen über einen Regierungschef, der sein Leergut noch selbst wegbringt und nach nicht enden wollenden Tagen bei McDonald’s rastet – weil es die einzige Einkehr ist, die noch nicht geschlossen hat. Wir treffen den Katholiken, der in diesem Frühjahr seinen Heimatpfarrer fragte, ob er sich für den Bundesvorsitz bewerben soll: „Würdest Du es denn machen?“ Und wir werden an den jungen Ehrgeizling erinnert, der sich nicht scheut, die hochbetagte Mutter Hans-Dietrich Genschers telefonisch aufzuscheuchen, weil der Außenminister dem damals völlig unbekannten Laschet einen Gastbeitrag schuldig ist.
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Das klingt nach einer Anekdotensammlung zwischen Tollität und Aachener Klüngelskerl, doch eskortieren solche Pointen klug dosiert eine clevere Erzählstruktur, die fundierter Analyse und seriöser Chronik immer wieder satte Pointen zur Seite stellt. Zudem erhellt auch das Erheiternde zuverlässig die üppig angelegte Porträtstudie.
Ein Kapitel trägt den Titel „Der Chaotische“
Blasius und Küpper haben einen listigen Titel gewählt: „Der Machtmenschliche“. Das darf man grundsätzlich als Sympathiebekundung lesen, erklären sie doch selbst, dass dieser Mann – mal dünnhäutig, oft aber nervenstark – ihnen anders vorkommt als „viele kraftstrotzende und präzise Machtmaschinen“ des heutigen Politikbetriebs.
Freilich haben beide Laschet zu lange begleitet, um Tugenden wie die christliche Wertgebundenheit, das tiefe Heimatgefühl, seine stete Neugierde und emotionale Zugewandtheit nicht auch im Schatten von Laschets Sprunghaftigkeit, seinem gelegentlichen Jähzorn und anderen Schwächen zu beschreiben. Nicht allein das Kapitel „Der Chaotische“ erzählt davon.
Auf der Hand liegt indes nach der Lektüre: Gerade die unkonventionelle Seite Laschets (in der Schule würde man ihn heute vielleicht verhaltenskreativ nennen) hat ihm nicht selten in die Karten gespielt. So müssen selbst Kritiker einräumen, dass mit dem jovialen Netzwerker mehr aufgestiegen ist als jener „politische Verpackungskünstler“ und „rheinische Luftikus“, dem einst als zeitgleich agierendem Redenschreiber, Referent und Journalist „professionelle Trennschärfe“ nicht immer gegeben war.
„Armin weiß immer, wer mit wem verbandelt ist“
Vor allem die üppig aufgefächerte Aachener Zeit fordert den geneigten Leser. Doch dem Charme, mit dem die Autoren vom politischen Ziehvater bis zur Lokal-Rivalin Ulla Schmidt Begleiter zum Erzählen über „Armin“ bringen, entzieht man sich schwerlich. Sein Geschichtslehrer Karl Niederau empfing die Journalisten auf Socken. Über Laschets historisches Interesse sagte Niederau etwas, das dem Berufspolitiker oft geholfen haben dürfte: „Armin weiß immer, wer mit wem verbandelt ist.“
Und die Kanzlerfrage? Dass Laschet stets einer war, der nach oben wollte, aber eben nicht um jeden Preis musste, sehen die Autoren als Bonus. Dennoch lautet ihr letzter Satz „Reicht das?“. Was Laschet auf die Frage antworten würde, können wir nach dieser bereichernden Lektüre mindestens ahnen: unentschieden. So nämlich tippt er wöchentlich in seinem Tabakladen auf den Ausgang sämtlicher Bundesligaspiele. Man hat das oft als risikoscheu belacht. Und Laschets Entgegnung war immer dieselbe: „Das gibt die besten Quoten, glauben Sie es mir.“