Düsseldorf. Der länger abgetauchte Aspirant auf CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur markierte in der Düsseldorfer Arena seinen klaren Führungswillen.
Sein Selbstverständnis gibt Friedrich Merz nach nicht einmal zehn Minuten preis. Der frühere Unionsfraktionschef und Aspirant auf CDU-Bundesvorsitz beziehungsweise Kanzlerkandidatur sitzt am Montagabend in der Nähe des Anstoßkreises des Düsseldorfer Stadions. Die „Rheinische Post“ hat ihr Talk-Format „Ständehaus-Treff“ wegen der Corona-Hygieneauflagen erstmals in die Arena verlegt. Rund 500 Gäste haben in gebührendem Abstand an runden Tischen auf dem abgedeckten Rasen Platz genommen und wollen nach Monaten ohne politische Großveranstaltungen erleben, in welcher Form sich Merz präsentiert.
Der 64-Jährige Sauerländer trägt dezente Sommerbräune und wirkt gut erholt. Die Corona-Krise lässt ihm ja nur noch wenige Gelegenheiten, volle Säle quer durch die Republik in Stimmung zu reden. „Mit Verlaub, ich bin zurzeit kein Politiker“, sagt Merz etwas überraschend gleich zu Beginn der Veranstaltung. Der Moderator Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, hat ihm da gerade eine Umfrage unter die Nase gerieben, in der er erstmals knapp hinter Armin Laschet liegt. Der NRW-Ministerpräsident ist Merz' wohl härtester Gegner im Kampf um den CDU-Vorsitz, der Anfang Dezember auf einem Bundesparteitag in Stuttgart entschieden werden soll. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen werden derweil nur Außenseiter-Chancen eingeräumt. In einer Politiker-Beliebtheitsumfrage fühlt sich Merz nicht richtig einsortiert: „Ich bin zurzeit freiberuflich tätig und bin ein politisch denkender Mensch und seit 1972 Mitglied der CDU Deutschlands.“
Kurz zuvor hatte er allerdings noch selbst die Demoskopie bemüht, um klarzustellen, dass er in jedem Fall noch einmal um den Vorsitz kandidieren werden. „In aller Bescheidenheit, aber ich liege in allen Umfragen, sowohl in der Partei als auch in der Öffentlichkeit, von den drei Kandidaten, die sich um das Amt des Parteivorsitzenden der CDU bewerben, vorne. Warum fangen Sie bei mir an zu fragen, ob ich verzichten soll?“
Teamlösung oder Kampfabstimmung? "Wir sind doch nicht in der DDR"
Zuletzt hatte es aus der Partei die Forderung gegeben, die Aspiranten auf die Chefrolle mögen sich verständigen. Seit der geräuschlosen Nominierung von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten wächst in die Union die Sorge, man könnte mit monatelanger Selbstbeschäftigung die komfortablen Umfragewerte gefährden. Merz sieht das anders: „Warum sollen wir die Wahl eines CDU-Vorsitzenden einvernehmlich regeln? Das hat so ein bisschen Hinterzimmer-Geschmäckle für mich.“ Er will die offene demokratische Auseinandersetzung: „Wir sind doch nicht in der DDR.“ Laschets Bemühungen, ihn in ein Führungsteam einzubinden? „Team war immer das Synonym 'Merz muss aufhören zu kandidieren'“, findet er.
Merz ruft an dem Abend in Düsseldorf noch einmal in Erinnerung, was sein Versprechen an die Partei ist: Er bringt überaus selbstbewussten Führungswillen, kantige Rhetorik und demonstrative wirtschaftliche und gedankliche Unabhängigkeit mit. 2018 hat er damit nach zehn Jahren Politik-Abstinenz aus dem Stand 48 Prozent der Parteitagsdelegierten überzeugt und nur knapp gegen die unglückliche Kurzzeit-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer verloren. Deshalb nun ein neuer, besser vorbereiteter Anlauf.
Sein Problem: Der Reiz eines Anti-Mainstream-Politikers hat gelitten, seit sich in der Corona-Pandemie alle um den starken Staat scharen und die vor nicht einmal einem Jahr von Merz als „grottenschlecht“ abgekanzelte Große Koalition bei den Bürgern wieder hoch im Kurs steht.
Das Verhältnis zur beliebten Kanzlerin: "Wir haben jetzt wieder gute Zeiten"
Sein lange als Intimfeindschaft beschriebenes Verhältnis zu Angela Merkel muss er inzwischen als intakt darstellen, da nur noch wenige in der Partei einen Bruch mit ihrer bald 16-jährigen Kanzlerschaft wollen: „Wir hatten gute Zeiten, wir hatten schwierige Zeiten und ich glaube, wir haben jetzt wieder gute Zeiten.“ Man tausche sich alle paar Wochen aus.
Die Pose des unabhängigen Geistes von außen, der nicht auf die Politik angewiesen ist, hat gleichwohl die Corona-Krise überdauert: „Ich wollte davon nie abhängig werden, wollte mich nie darauf verlassen müssen, meine Familie mit politischen Ämtern ernähren zu müssen.“ Bei den meisten der 1001 Delegierten, die ihn beim Parteitag wählen sollen, dürfte es anders sein. Bedient er noch diese diffuse Sehnsucht an der Basis nach christdemokratischer Breitbeinigkeit statt pragmatischer Beliebigkeit? Er sei keiner, er morgens mit dem Kompromiss aufsteht, versichert Merz in Düsseldorf.
Als Moderator Döbler das Gespräch auf seine fehlende Regierungserfahrung lenkt, feuert der Gast ungeniert zurück: „Ich kann Apparate führen, ich bringe Erfahrungen aus Beruf und Politik mit, ich bin 20 Jahre Abgeordneter gewesen, ich bin jetzt seit 36 Jahren Anwalt, bin Richter gewesen, also: Ich freue mich über jeden, der meine Qualifikation in Abrede stellt, mit dem diskutiere ich gern.“ Solche Töne hört man in der deutschen Politik nicht mehr oft.
Merz über Söder: "Er hat 'ne ziemlich hohe Flughöhe eingenommen"
Dass selbst Grünen-Chef Robert Habeck zumindest mal Landesminister in Schleswig-Holstein war, verweist Merz umgehend ins Reich der Provinz: „Bei uns wäre das ein Beigeordneter.“ Gelächter im Publikum. Er serviert lieber ein Beispiel von der „ganz anderen Straßenseite: Barack Obama war drei Jahre Mitglied des Senats.“
Den Mut zur unumstrittenen Nummer eins kann man Merz schwerlich absprechen. Mögliche Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur werden von ihm eher beiläufig geschrumpft. Den einen glaubt er gar schützen zu müssen: „Ich finde die Kritik an Armin Laschet hier in Nordrhein-Westfalen zum Teil wirklich überzogen, ich finde sie teilweise ungerecht.“ Dem anderen spendiert er ein Lob, das er sofort wieder kassiert: Der aktuelle CSU-Chef Markus Söder sei im Vergleich zu den früheren Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber „derjenige, der vielleicht sogar von allen dreien die größte Akzeptanz außerhalb Bayerns heute hätte“. Allerdings habe er in der Corona-Krise „jetzt auch ein paar Rückschläge hinnehmen müssen. Da ist eben auch nicht alles wirklich nur so glatt gelaufen.“ Der wohlhabende Hobby-Pilot Merz, der über eigene Flugzeuge verfügt, analysiert Söders aktuelle Thermik: „Er hat 'ne ziemlich hohe Flughöhe eingenommen, und dann stürzt man halt ein bisschen weiter ab, als wenn man auf einer mittleren Flughöhe unterwegs ist.“