Essen. Pflegekräfte und Erzieherinnen gehörten zu den Helden der Krise. Einen Aufschwung erleben die Jobs bisher aber nicht.
Gewerkschaften fordern, dass auf das Lob für soziale Berufe in der Corona-Krise zügig bessere Arbeitsbedingungen folgen müssten. Warme Worte und ein Krisenzuschlag reichten nicht aus, um dem Fachkräftemangel etwa in der Altenpflege entgegenzuwirken, so Sabine Graf, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) NRW. Es brauche eine generell bessere Bezahlung und dazu flächendeckend Tarifverträge.
„Zu Corona-Hochzeiten wurden die vielen Menschen, die den Laden am Laufen gehalten haben, zu Recht beklatscht und gelobt“, sagte Graf der WAZ. „Jetzt müssen sie auch weiter die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben.“
Arbeitssoziologe: Die Corona-Krise kann eine Chance für soziale Berufe sein
In einer aktuellen Erhebung kritisiert der DGB, dass systemrelevante Arbeit häufig von Frauen unter schlechten Bedingungen geleistet werde. Beschäftigte in sozialen Berufen, aber auch Reinigungs- und Verkaufsberufen, bezeichneten ihr Einkommen mehrheitlich als nicht oder gerade ausreichend und die Belastungen als hoch.
Der Arbeitssoziologe Gerhard Bosch sieht in der Corona-Krise eine Chance, das zu ändern: Gerade soziale Berufe seien durch die Pandemie in der Bevölkerung völlig anders wahrgenommen worden als bisher, so der Soziologe an der Universität Duisburg-Essen. „Das Wort systemrelevant kannte ja vorher kaum jemand. Jetzt muss man den Aufschwung nutzen und bessere Bedingungen für diese Berufe erreichen.“ Er appelliert an die Beschäftigten, sich stärker zu organisieren, um Forderungen durchzubringen.
Bislang kaum ein Corona-Effekt bei sozialen Berufe zu spüren
Bislang kein Bislang wirkt sich das Lob der „Corona-Helden“ kaum am Arbeitsmarkt aus. Vertreter der Gesundheitsbranche berichten, dass die Ausbildungszahlen in der Pflege zwar insgesamt gut seien, dies aber nicht auf einen Aufschwung durch die Pandemie zurückzuführen sei. „Von einem Corona-Effekt kann man bisher nicht sprechen“, sagt Elke Hammer-Kunze, Vize-Chefin der Awo Westliches Westfalen. „Erst wenn Pflege kontinuierlich in den Fokus rückt, wird das Auswirkungen haben.“ Darauf warten will die Awo nicht: Sie wirbt an Schulen um Nachwuchs, den sie im Tarifgefüge bezahlt.
Vertreter privater Pflegedienste und von Kliniken bestätigen den Eindruck, Corona spiele bislang kaum eine Rolle bei Bewerbungsgesprächen.
Aktuell werden laut Arbeitsagentur in NRW über 2500 Fachkräfte in der Kranken- und rund 2800 in der Altenpflege gesucht (Stand Juni). Dem gegenüber standen 2400 bzw. rund 2000 arbeitssuchende Fachkräfte. In diesem Jahr startete eine reformierte Pflegeausbildung. NRW erwartet rund 19.000 Pflegeschüler.
Jugendliche wollen durchaus in sozialen Berufen arbeiten, kritisieren aber Bedingungen
Damit die Pflege dauerhaft Aufschwung bekommt, setzt Ludger Risse vom Pflegerat NRW auch auf Aufklärung: „Wir müssen als Branche stärker herausstellen, was der Pflegeberuf leistet und welche Wertigkeit er hat.“ Denn das Interesse an sozialen Berufen sei bei Jugendlichen durchaus vorhanden, so Risse. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums kann sich knapp ein Fünftel der 14- bis 20-Jährigen vorstellen, in der Pflege zu arbeiten, für die Kindertagesbetreuung ist es ein Viertel.
Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW ist die Hoffnung deshalb groß, dass es langfristig einen Corona-Effekt für den Erzieherberuf gibt. „Der Fachkräftemangel war schon vor der Krise groß und der Druck ist gestiegen“, sagte Fachreferent Martin Künstler. Eine Chance sieht er in einem fünfmonatigen Landesprogramm für Kita-Helfer. „Das kann ein Anstoß sein, um Schulabgänger für dieses Arbeitsfeld zu gewinnen.“