Düsseldorf. Trotz Beendigung der Zwangspause bei Tönnies ist kein Ende der Schweine-Krise in NRW abzusehen. Tausende Tiere können nicht geschlachtet werden.
Trotz des Wiederhochfahrens der Schlachtung in der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ist kein Ende der Krise auf dem Schweinemarkt in Sicht. Derzeit können in NRW etwa 70.000 schlachtreife Schweine pro Woche nicht geschlachtet werden. NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) sagte in einer Sondersitzung des Landwirtschaftsausschusses im Landtag: „Die Lage wird sich durch die Tönnies-Öffnung jetzt zwar etwas entspannen, aber über die gesamte Pandemiezeit hinweg angespannt bleiben. Neue Hygienevorschriften und fehlende Mitarbeiter hielten die Schlacht-Kapazitäten dauerhaft niedrig.
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Eine Not-Schlachtung der Schweine sei rechtlich völlig ausgeschlossen, erklärte die Ministerin. Entsprechende Anträge würden vom Land nicht unterstützt.
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, zeigte sich gegenüber dieser Redaktion froh darüber, dass Tönnies nun wieder schlachtet. „Dieser Schritt war dringend notwendig, auch überfällig und schließlich auch ein wichtiges Signal zur Normalisierung der Märkte. Die überfälligen Tiere müssen jetzt so schnell wie möglich zur Schlachtung gebracht werden“, sagte Küsken.
Schlachthöfe weit unter der normalen Kapazität
Die Lage für Schweinemäster und Ferkelzüchter in NRW bleibt aber weiterhin mehr als ernst. Zur Wiederaufnahme der Schlachtung bei Tönnies können laut Landesregierung höchstens 6400 Schweine am Tag dort geschlachtet werden – ein Drittel der bisherigen Kapazität. Etwa 400.000 Tiere müssten zur Schlachtung. Der Stau in den Ställen wird also kaum kürzer.
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Zumal sämtliche Schlachthöfe mit angezogener Handbremse fahren. Neue Hygieneregeln sowie fehlendes Personal senken die Produktion um etwa 40 Prozent. Wegen der Ferien und wohl auch wegen der Probleme, die Werkvertragsarbeiter in NRW zuletzt hatten, gibt es nicht genügend Schlachter. „Die volle Mitarbeiterzahl wird wohl erst wieder Mitte September erreicht werden“, sagte NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) bei einer Ausschuss-Sondersitzung zur Krise auf dem Schweinemarkt.
Bauern selbst für Tierschutz verantwortlich
Landwirte werden noch monatelang mit den Folgen der Krise kämpfen müssen. Das Tierschutzgesetz verbietet eine Notschlachtung der Schweine. Anspruch auf eine Entschädigung durch Tönnies haben allenfalls jene Bauern, die feste Verträge mit der Firma haben, und selbst dieser Anspruch ist ungewiss. Die Landwirte müssten bei der Erweiterung der Ställe flexibel sein und trügen selbst die Verantwortung für den Tierschutz. „Die Regierung kann nicht Stall-Kapazitäten managen“, sagte Heinen-Esser.
Tönnies versucht zwar, sich vom Land Lohnkosten erstatten zu lassen. Die Ministerin stellte aber klar, dass NRW seinerseits „Schadenersatzansprüche gegenüber Tönnies intensiv prüft“. Außerdem wird der Arbeitsschutz künftig in allen großen Schlachtbetrieben präsent sein – eine Folge der im Kreis Gütersloh festgestellten Missstände. Markus Leßmann, Arbeitsschutzexperte des NRW-Gesundheitsministeriums, sagte: „Es gibt keine Lex Tönnies. Das gilt für alle anderen auch.“
Bernhard Schlindwein, stellvertretender Geschäftsführer des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, mahnte, es müsse jetzt über die Strukturen nachgedacht werden. Die Krise habe gezeigt, wie stark Tönnies mittlerweile auf dem Markt agiere und wie abhängig die Landwirtschaft von der Firma sei.
SPD wirft Regierung vor, sie schaue bei der Krise nur zu
Die SPD hatte die Sitzung beantragt. Sie warf der Regierung „Konzeptlosigkeit“ vor. „Sie steht nur am Rand und schaut zu“, wetterte SPD-Umweltexperte André Stinka. Ministerin Heinen-Esser erinnerte an die Nutztierstrategie des Landes, die das Tierwohl verbessern werde. Eine dominierende Marktmacht wie die von Tönnies müsse künftig vermieden, die Schlachtbetriebe kleiner und „regionaler“ werden.
Die Krise biete aber auch eine die Chance: „Der Hebel ist das Verbraucherverhalten an der Ladentheke“, sagte Heinen-Esser. „Wenn wir diese Chance nicht nutzen, ist der Zug abgefahren.“ (mit sige)