Düsseldorf/Heiligenhaus. In vier Bundesländern sind 180 Polizisten weiteren Hinweisen im Missbrauchsfall Münster nachgegangen. Insgesamt gibt es jetzt 21 Tatverdächtige.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Polizei und die Justiz gegen Vorwürfe verteidigt, sie hätten im Missbrauchsfall Münster nicht schnell genug auf Verdachtsmomente gegen den Hauptbeschuldigten reagiert. Bereits im November 2019 war es Ermittlern gelungen, ein beim Hauptverdächtigen beschlagnahmtes Smartphone und ein Tablet zu entsperren. Das heute zehnjährige Opfer wurde aber erst im Mai 2020 aus seinen Qualen befreit. Der Verdächtige war wegen des Erwerbs und der Verbreitung kinderpornografischen Materials vorbestraft.
Am Dienstag sind in dem Missbrauchsfall Münster 180 Beamte zu Durchsuchungen in vier Bundesländern ausgerückt. Die konzertierte Aktion habe in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein stattgefunden.
"Drei weitere Tatverdächtige aus drei Städten wurden festgenommen. Insgesamt gibt es jetzt 21 Tatverdächtige, davon befinden sich zehn in Haft. Damit wurden weitere Kinder aus der tagtäglichen Hölle befreit", sagte Reul.
Haftbefehle gegen drei Verdächtige vollstreckt
Bei den jetzt Festgenommenen handelt es sich um einen 26-Jährigen Mann aus Aachen und zwei 29 und 49 Jahre alte Männer aus Hannover. Gegen sie wurden Haftbefehle vollstreckt. Weitere Ermittlungen laufen auch gegen einen 29-Jährigen aus Heiligenhaus, einen 36-Jährigen aus Langenhagen und einen 52-Jährigen aus Norderstedt.
Der Mann aus Heiligenhaus soll zwischen Dezember 2019 und Ende Mai 2020 Kontakt zu dem Hauptbeschuldigten, einem vorbestraftem 27-Jährigen aus Münster, gehabt haben. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Pkws setzten die Beamten Datenspeicherspürhunde ein. Sie fanden ein aufblasbares Bett sowie Kinderspielzeug und einen Laptop in seinen Räumen.
Missbrauchsfall Münster: Große Datenmengen auf Geräten beschlagnahmt
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Reul erklärte, dass beim Blick auf die großen Datenmengen auf den beschlagnahmten Geräten ausschließlich kinderpornografische Bilder und Videos gefunden wurden, aber kein Hinweis auf einen aktiven Missbrauch von Kindern. "Demnach war es monatelang ein reiner kinderpornografischer Fall", so Reul. Erst am 12. Mai 2020 sei es mit viel Glück gelungen, den Hauptrechner des Verdächtigen zu entsperren.
Dort seien klare Hinweise auf aktiven Kindesmissbrauch entdeckt worden. "Bis zur Festnahme vergingen dann keine 48 Stunden", so der Minister. Aus seiner Sicht ist die komplizierte und am Ende gelungene Entschlüsselung der Dateien ein Ermittlungserfolg. Es hätte auch noch viel länger dauern können, möglicherweise Jahre.
Missbrauchsfall Münster: Noch offene Fragen
Mit dem Missbrauchsfall von Münster befassen sich am Dienstag auch die drei Ausschüsse für Inneres, Justiz und Familie in einer Sondersitzung. Nach Ansicht von SPD und Grünen sind nach der bisherigen Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes im Landtag noch immer Fragen offen. Deswegen sei die Sitzung dringend geboten. Die Oppositionsparteien haben unter anderem Fragen zu früheren Ermittlungen gegen den Hauptverdächtigen, der Arbeit der Staatsanwaltschaft und des Jugendamts.
Wie tief der Sumpf ist, war erst am Montag deutlich geworden: Justizminister Peter Biesenbach hatte bekannt gemacht, dass allein im Missbrauchsfall Bergisch Gladbach Spuren zu 30.000 möglichen Tatverdächtigen nachgegangen werde. Am 1. Juli startet eine Taskforce, die gegen Kinderpornografie und -missbrauch im Netz vorgehen soll. (Mit dpa)