Düsseldorf. Der größte deutsche Schlachthof ist in der Zwangspause. Was geschieht nun mit dem Mastvieh? Experten warnen vor Problemen beim Tierschutz.

Die Schließung des größten deutschen Schlachtbetriebes Tönnies in Rheda-Wiedenbrück nach einem großen Coronaausbruch schlägt womöglich voll auf die Landwirtschaft in der Region durch. Bauern, die sonst ihre Tiere zum Schlachten zu Tönnies transportieren, befürchten nun, bis auf Weiteres ohne Abnehmer zu sein.

Ein Schweinemäster aus dem Kreis Soest erzählte dieser Redaktion, dass nur ein Teil der Landwirte feste Verträge mit Tönnies habe. Er selbst gehöre zu den Glücklichen, die auf ihre Verträge mit dem Schlachthof pochen könnten. „Wenn unsere Tiere nicht in Rheda-Wiedenbrück geschlachtet werden können, dann werden sie eben zu anderen Tönnies-Betrieben transportiert“. Jene Schweinemäster aber, die ihre Tiere Tönnies „frei“ zulieferten, würden die Schweine nun erstmal nicht mehr los.

Die Tiere werden zu schwer und haben keinen Platz

Konsequenz: Die Tiere bleiben länger im Stall, verursachen weitere Futterkosten und erreichen ein Gewicht, das über dem üblichen Schlachtgewicht liegt, was dann zu niedrigeren Preisen führt. Bis zu 14 Tage könne die Mast in die Länge gezogen werden. Dann allerdings würden die Tiere zu groß für die rund ein Quadratmeter Fläche, die ihnen gewährt wird. Etwa 120 Tage dauert es, bis ein Tier von 25 Kilo auf 120 Kilo Schlachtgewicht heranwächst, erklärt der Landwirt.

Wenn ein Mäster innerhalb von ein bis zwei Wochen seine Tiere nicht vermarkte, könnte es bereits Schwierigkeiten geben, bestätigte Miriam Goldschalt, Expertin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Das ist alles sehr streng getaktet“, sagte Goldschalt.

Vorliebe für mageres Fleisch verstärkt die Probleme

Es drohten in den Stallungen Platzprobleme, weil neue Jungtiere angeliefert würden und nicht klar sei, wohin mit den älteren Tieren. Das Schwein verliere ab einem gewissen Punkt mit zunehmendem Gewicht an Wert, so die Expertin. Das liege an der Vorliebe der Deutschen für mageres Fleisch.

Das NRW-Landwirtschaftsministerium beobachtet die Entwicklung mit Sorge. „Sollten Produktionsengpässe über einen längeren Zeitpunkt andauern, erhöht sich der Druck in den Betrieben, was sich negativ auf den Tierschutz auswirken könnte“, sagte Staatssekretär Heinrich Bottermann am Freitag. Ziel müsse es daher sein, den Schlachthof Tönnies so schnell wie möglich wieder zu öffnen.

Wohl genug Fleisch und Wurst in den Regalen

Die Versorgung der Verbraucher mit Fleisch und Wurst sei aber nicht gefährdet. „Natürlich bringt ein Stillstand des bundesweit größten Schlachtbetriebes die gewohnten Abläufe in der Lebensmittelkette ins Stocken, aber Versorgungsengpässe sind derzeit nicht zu befürchten“, betonte Bottermann.

Grünen-Landeschefin Neubaur fordert: Keine Transporte quer durch die EU

Die Vorsitzende der NRW-Grünen, Mona Neubaur, sagte dieser Redaktion: "Am Ende zahlen die Bauern die Rechnung. Es zeichnet sich eine wirtschaftliche Katastrophe für die Landwirte ab und eine Tierschutz-Katastrophe." Der Corona-Ausbruch bei Tönnies werfe ein Licht auf die Überproduktion in der Fleischindustrie. Eine Unterbrechung verkrafte dieses System nicht. „Es darf jetzt nicht so weit kommen, dass die Tiere, die bei Tönnies nicht geschlachtet werden können, durch ganz Europa transportiert werden“, so Neubaur.