Düsseldorf/Kleve. Polizist berichtet von “Riesenproblemen“ mit NRW-Polizei-Software. Syrer Amad A. war unschuldig eingesperrt worden und starb in der JVA Kleve.
Im TV-Krimi funktioniert der Polizei-Computer immer bestens: Kaum tippt ein Beamter den Namen eines Verdächtigen ein, erscheint schon der komplette Lebenslauf inklusive aller Untaten. Bei dem Syrer Amad A. allerdings unterlief der Polizei-Technik eine verhängnisvolle Verwechslung – mit tödlichem Ausgang.
Der hellhäutige Amad A. wurde als der dunkelhäutige Amedy G. aus Mali erfasst, der mit Haftbefehl gesucht wurde. Ins Gefängnis kam aber Amad A., wo er schließlich bei einem Zellenbrand starb.
Klärung soll nun ein Untersuchungsausschuss bringen. „Doch der Fall wird immer mysteriöser und undurchsichtiger“, wie der Grünen-Landtagsabgeordnete Stefan Engstfeld dieser Redaktion sagte.
Komissar berichtet von massiven Problemen mit Polizeisoftware
Da ist etwa die zentrale NRW-Polizeisoftware „Viva“. Ein Kommissar berichtete gestern dem U-Ausschuss im Landtag von „massiven Problemen“ mit dem Programm. Besonders der Umgang mit Alias-Personalien und die Zusammenführung von Personen-Datensätzen sei problematisch gewesen und letztere schließlich streng verboten worden, wenn die Datensätze auch im bundesweiten System „Inpol“ auftauchten, sagte der 63-jährige, inzwischen pensionierte Kommissar aus Siegen. „Die Situation hat zu Riesenproblemen im gesamten Land geführt.“
Es seien vom System immer wieder Verknüpfungen von Personen angezeigt worden, bei denen es völlig abwegig gewesen sei, eine Identität anzunehmen. Beim Versuch, die Identität eines Mannes zu klären, habe er einmal 108 verschiedene Vorschläge erhalten. Umgekehrt habe es von einer Person auch einmal zwei Kriminalakten unter zwei verschiedenen Namen gegeben.
Fatale Zusammenführung von Personen-Daten
Entsprechend habe er die ihm unterstellte Sachbearbeiterin nicht angewiesen, Personensätze zusammenzuführen.Diese hatte behauptet, den Auftrag, die Daten des Syrers Amad A. mit denen des Afrikaners Amedy G. zusammenzuführen, entweder von Kolleginnen oder ihrem Vorgesetzten erhalten zu haben.
„Ich nehme an, sie hat eine falsche Entscheidung getroffen in der Absicht, das Richtige zu tun“, sagte der Zeuge. Das eigentlich vorgeschriebene Vier-Augen-Prinzip bei der Dateneingabe sei in der Praxis nur stichprobenhaft möglich gewesen. Er hätte eine Zusammenführung zweier Personen-Datensätze vermutlich auch gar nicht bemerkt. Zum Zeitpunkt der Eingabe sei er bereits nicht mehr im Dienst gewesen.
Sachverständige kritisiert Umgang mit der Software
Eine Sachverständige hatte dem U-Ausschuss schriftlich von einem Programmfehler berichtet, der die Verwechslung mitverursacht haben könnte. Auf den Fehler im Programm Viva seien Landesbehörden bereits im Februar 2018 hingewiesen worden.
Bei der Polizei in Kleve sei damals aufgefallen, dass bei zwei zufällig gleichen Namensfragmenten ein sogenannter Kreuztreffer angezeigt worden sei. Die Polizei habe damals gewarnt, dass dies zu unrechtmäßigen polizeilichen Maßnahmen führen könne. Der Fehler sei aber erst nach der Inhaftierung von Amad A. behoben worden.
Zugleich kritisierte die Sachverständige, eine Datenforensikerin, den Umgang mit ihr. Sie sei einstimmig vom Untersuchungsausschuss als sachverständige Zeugen geladen und für ihre Arbeit nicht finanziell honoriert worden. Dennoch sei sie danach unfair angegriffen worden. „Ich verwahre mich nachdrücklich gegen die Diskreditierung meiner Person“, schreibt sie in einem Brief an den Ausschussvorsitzenden Jörg Geerlings (CDU).
Sachverständige wehrt sich gegen Kritik an ihrer Arbeit
Die Behauptung der CDU-Fraktion, ihre Arbeitsergebnisse seien widerlegt, weist sie zurück. Die „beratende“ Softwarefirma, die dafür von der CDU angeführt werde, sei in Wirklichkeit der verantwortliche Hersteller des fehlerhaften Systems. Das Unternehmen kassiere für sechs Jahre Wartung des Systems 27,7 Millionen Euro und sei alles andere als unabhängig. Der Öffentlichkeit werde ein falsches Bild der Fakten vermittelt.
„Die öffentlichkeitswirksame Anfeindung von Sachverständigen, die ihre Expertise und ihre Zeit für die Aufklärung komplexer und wichtiger Sachfragen opfern, ist stillos und unangemessen“, kritisierte der Obmann der Grünen, Stefan Engstfeld. „Wir sind auf unabhängige Sachverständige angewiesen.“
Statt sich mit dem Gutachten der Expertin sachlich auseinanderzusetzen, berufe man sich für ihre „Vernichtung“ auf ein Gutachten ausgerechnet der Akteure, deren Handeln zu untersuchen sei.
Der Fall Ahmad A. wird immer politischer
Das Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste (LZPD) hat die Software seinerzeit bei der Telekom-Tochter DTHS erworben. Wie nun herauskam, zahlt die Polizeibehörde allein für die Wartung dieser Software in sechs Jahren knapp 28 Millionen Euro. Auf die Frage der NRZ, ob das nicht sehr viel Geld sei, meinte Grünen-MdL Engstfeld: „Ohne Einsichtnahme in den Wartungsvertrag kann das nicht beantwortet werden.“
Somit wird der Fall immer politischer: „Hier wird nicht sauber gespielt“, meint auch SPD-Obmann Andreas Hahn und er meint damit, dass die CDU im U-Ausschuss die Sachverständige angegriffen habe, die von der fehlerhaften Software berichtet hatte. Der Ausschuss wird weiter tagen.
Der Syrer war den bisherigen Ermittlungen zufolge im Juli 2018 irrtümlich wegen eines Haftbefehls eingesperrt worden, der für den dunkelhäutigen Amedy G. aus Mali galt.
Der hellhäutige Amad A. hatte wochenlang in Kleve unschuldig im Gefängnis gesessen und schließlich in seiner Zelle selbst Feuer gelegt. Dabei erlitt er so schwere Verbrennungen, dass er im September 2018 in einer Klinik starb. (mit dpa)