Essen. Studie zeigt: Das Virus zerstört Blutgefäße und schädigt alle Organe. Körper reagiert mit heftigen Entzündungen. Hoffnung auf bessere Therapien

Manche Menschen bemerken kaum etwas von einer Corona-Infektion. Andere müssen auf der Intensivstation behandelt werden. Warum es manchmal zu plötzlichen und sehr schweren Verläufen bei einer Infektion mit dem Corona-Virus kommt, gibt den Medizinern immer noch Rätsel auf.

Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Unikliniken Wuppertal, Hannover, Harvard, Leuven und der Uni Witten/Herdecke glaubt nun, eine Ursache dafür entdeckt zu haben. Danach schädigt das Virus Blutgefäße massiv, was die Blutzufuhr in den Organen gefährlich vermindern kann. Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht. Die Ergebnisse eröffnen nach Ansicht der Wissenschaftler neue Wege für eine Behandlung schwerer Fälle.

Starke Schädigung der Blutgefäße durchs Coronavirus

Dass neben der Lunge auch weitere Organe befallen werden können, haben jüngere Studien bereits beschrieben. Im Gegensatz zu Grippeviren befällt demnach Sars-Cov-2 vor allem Blutgefäßstrukturen, die sogenannten Endothelzellen. Sie bilden die innere Schicht der Blutgefäße.

Durch das Coronavirus verändern sich die Zellen, der Blutfluss zu Organen wird stark eingeschränkt. Durch die anschließende Reaktion des Immunsystems kommt es zu einer „gesteigerten Entzündungsreaktion, vergleichbar mit einer Abstoßungsreaktion nach Organtransplantationen“, so die Forscher. Dies ist die zentrale Erkenntnis des Forscherteams.

 „Wir konnten erstmals die ausgeprägten und großflächigen Schädigungen der Blutgefäße zeigen, die die Blutzufuhr zu den Organen wie Lunge, Herz, Niere oder Gehirn vermindern“, erklärt Maximilian Ackermann, Wissenschaftler am Institut Pathologie des Uniklinikums Wuppertal. Besonders in der Lunge ist aber ein intaktes Gefäßsystem wesentlich für den Sauerstoffaustausch.

Blutfluss zu den Organen wird eingeschränkt

„Über 80 Prozent des Lungengewebes besteht aus kleinsten Blutgefäßen. Selbst feine Schädigungen führen zu einer Einschränkung des Blutflusses“, so Ackermann. „Das kann in kürzester Zeit lebensbedrohlich für den Patienten werden, da mit Mikroembolien gerechnet werden muss.“ Vor allem kleinste Blutgefäße zeigten starke Entzündungen, sie stammen von der körpereignen Abwehr, den T-Zellen. 

Zusätzlich konnten die Forscher erkennen, dass durch die Störung des Blutflusses eine spezielle Form der Gefäßneubildung ausgelöst wird. Das wiederum alarmiert die T-Abwehrzellen erneut und steigert die Entzündungsreaktion.

Covid-19 ist nicht nur eine Lungenkrankheit

„Dieser erstmals beschriebene Mechanismus aus Blutgefäßneubildung und Entzündung ist für den Schweregrad der Erkrankung verantwortlich und zeigt, dass ein Lungenversagen bei Covid-19 maßgeblich auf den Gefäßschaden zurückzuführen ist“, sagt Michael Kvasnicka, Direktor des Instituts für Pathologie am Uniklinikum Wuppertal und Professor für Pathologie an der Uni Witten/Herdecke. In weiteren Studien soll dieser Mechanismus an weiteren Organen untersucht werden.

Weiterhin kommt es zwar nur bei einem Bruchteil der Erkrankte zu lebensgefährlichen Verläufen. Doch liefern die Ergebnisse der Studie Hinweise auf neue Behandlungsmöglichkeiten. „Wir sehen Covid-19 jetzt weniger nur als Lungenkrankheit“, so Kvasnicka. Die Studie sei „eine Etappe auf dem Weg zum Ziel, die Krankheitsmechanismen bei Covid-19 besser zu verstehen, um die Patienten gezielter therapieren zu können“. Dabei müsse die Eindämmung der Entzündungen im Vordergrund stehen.