Essen. Vor 200 Jahren wurde die Mutter moderner Pflege geboren. Viele Anliegen von Florence Nightigale sind umgesetzt, am Ziel sehen sich Verbände nicht

2020 sollte das Jahr der Pflege werden. Die Weltgesundheitsorganisation hat für dieses Jahr eine internationale Kampagne ausgerufen, um Pflegekräfte zu stärken und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit zu verbessern. Nun erreicht ausgerechnet eine Pandemie, was die Kampagne schaffen sollte: Das Corona-Virus sorgt vielerorts dafür, dass Pflegekräfte eine bisher nicht gekannte Wertschätzung erhalten und über bessere Arbeitsbedingungen diskutiert wird.

Über viele Jahrhunderte war Pflege Sache der Kirchen. An Pilgerrouten entstanden einfache Unterkünfte, aus denen sich Anstalten zur Armenpflege entwickelten. Die Pflege in den Hospitälern des Mittelalters hatte indes kaum etwas damit zu tun, was wir heute unter Pflege verstehen: Wer alt und krank war und sich nicht um sich selbst kümmern konnte, wurde zumeist verwahrt.

Florence Nightigale reformierte die Pflege

Das änderte sich erst mit der industriellen Revolution und Pionierinnen wie Florence Nightingale: Die britische Krankenschwester gilt als Mutter der modernen Pflege. Sie reformierte die Lazarettpflege, gründete eine Pflegeschule, in der Frauen zu Krankenschwestern und Pflegerinnen ausgebildet wurden und verfasste rund 200 Werke zum Gesundheitswesen.

Eines von Nightingales Hauptanliegen war die Hygiene. Sie vertrat die Ansicht, dass die meisten Krankheiten durch Sauberkeit, richtige Lüftung und angemessene Ernährung geheilt werden können. Am 12. Mai vor 200 Jahren wurde Nightingale geboren – ihrem Einsatz zum Dank wird dieser Tag als Tag der Pflege begangen.

Pflege-Präsidentin: "Beruf wird noch immer unterschätzt"

Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, glaubt, Nightingale wäre von der Pflege heute überrascht. Viele ihrer Forderungen etwa nach Ausbildung und Hygienestandards seien umgesetzt worden. „Sie hätte aber auch erkannt, dass wir längst nicht am Ziel sind", ist sich Bienstein sicher. Das gelte etwa für Fort- und Weiterbildungen. Pflegefachpersonen würden dafür immer noch nicht ausreichend freigestellt, wegen der Pandemie aktuell noch weniger als vorher.

Ebenso wenig erreicht sei die Anerkennung für den Pflegeberuf. Zwar streiten Pflegekräfte seit Jahren für besser Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Kollegen - Unterstützung erhalten sie dafür aber erst seit wenigen Jahren, erinnert Bienstein. "Wir haben fast 200 Jahre gebraucht, bis die ersten Pflegekammern gegründet wurden. Dafür haben wir auch von Ärzten viel Gegenwind erhalten." Das habe sich erst mit dem zunehmenden Fachkräftemangel auf den Krankenhausstationen geändert. Jeden Tag müssten 22 Prozent der Intensivstationen in Deutschland Betten unbelegt lassen, weil das Personal zur Pflege der Patienten fehlt, so Bienstein. "Das ist ein dramatischer Zustand, der dazu geführt hat, dass Ärzte heute vielfach an unserer Seite stehen", ist sich die Präsidenten des Berufsverbandes sicher.

Sie sieht aber auch die Pflegekräfte selbst gefragt, um die Bedeutung des Berufs für die Gesellschaft herauszustellen. Es müsse in die Köpfe, dass Pflege eine umfangreiche fachliche Disziplin von der Psychiatrie über die Intensiv- bis zur Altenpflege sei, sagt Bienstein. „Pflegefachpersonen müssen stolz zeigen, was ihren Beruf ausmacht. Pflege darf sich nicht wegducken.“