Düsseldorf. Ministerpräsident Laschet musste Häme aushalten, weil er als Erster um Interessenausgleich in der Krise warb. Kippt die Debatte in seine Richtung?
Doch, doch, er empfinde weiterhin „Wertschätzung“ für Bundeskanzlerin Angela Merkel, beteuerte Armin Laschet zu Wochenbeginn im „Morning Briefing“ des Journalisten Gabor Steingart. Soweit ist es also nach nicht einmal drei Monaten Corona-Krise gekommen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, lange treuester Knappe der Kanzlerin, muss seine Loyalität öffentlich bekunden.
Als hätte es die Flüchtlingskrise 2015 gar nicht gegeben, in der Laschet als einziger ranghoher Unionspolitiker bis zuletzt Merkels Kurs der offenen Grenzen tapfer verteidigt hat. Sein bayerischer Amtskollege Markus Söder trieb damals CSU-Chef Horst Seehofer an, Merkels „Herrschaft des Unrechts“ zu beenden. Heute sitzt Söder regelmäßig nach Corona-Telefonkonferenzen auf dem Pressepodium im Kanzleramt neben Merkel und flötet beinahe in jedem dritten Satz: „Wie die Kanzlerin schon ganz richtig gesagt hat...“
Laschet-Spott in den sozialen Netzwerken
Während Merkel und Söder als Corona-Krisenmanager in Umfragen Traumwerte erzielen, ist der Laschet-Spott in Medien und sozialen Netzwerken zu einer Art Sport geworden. Der NRW-Regierungschef wird gelegentlich als politische Forderungsmaschine karikiert, als einer, der die Pandemie nicht verstanden hat und nicht mal einen Mund-Nasen-Schutz ordentlich aufsetzen kann.
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Talkshow-Kritiken auf Online-Seiten werden inzwischen besonders gut geklickt, wenn Laschet Gast war und man ihn zu einer Art „Gernot Hassknecht“ der Politik verzerren kann. Das ist die Kunstfigur eines untersetzen, rotgesichtigen Cholerikers, den der Schauspieler Hans-Joachim Heist in der ZDF-Satiresendung „heute-show“ so brillant darstellt.
Der Maßstab aus Kanzlerholz ist für ihn plötzlich Markus Söder
Wer Laschet in diesen Tagen beobachtet, stellt bei ihm keine besondere Verunsicherung oder Verärgerung fest. Wenn er sich ungerechnet behandelt fühlen sollte, zeigt er es nicht. Ist da einer ganz bei sich? Laschet ist jedenfalls lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass die Häme der Preis ist, wenn man plötzlich mit der Kanzlerbrille betrachtet wird. Ende Februar hat er angekündigt, um den CDU-Bundesvorsitz zu kandidieren. Er will Nachfolger der glücklosen Annegret Kramp-Karrenbauer werden. Es wäre ein natürliches Sprungbrett ins Kanzleramt. Dass er sich mit dem ambitionierten jungen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verbündet hat, der sein Partei-Vize werden soll, wurde allenthalben als cleverer Schachzug eingestuft.
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Doch ausgerechnet am Tag von Laschets Präsentation in Berlin wurde aus NRW der erste Corona-Fall gemeldet. Seither ist nichts mehr, wie es war. Und der ohnehin hochtourige Politik-Deutungsbetrieb läuft regelrecht heiß. Mal wird Laschets Aktie als sicherer „Blue Chip“ mit Kursrichtung Kanzleramt gehandelt. Dann wieder als Schrottpapier für die bundespolitische Bad Bank, in der schon so viele ambitionierte Landespolitiker vor ihm gelandet sind - von Scharping über Beck bis Platzeck und nun AKK. Laschets Konkurrenten um den Parteivorsitz, Friedrich Merz und Norbert Röttgen, nimmt zwar keiner mehr wahr. Aber Söder ist plötzlich der Maßstab als Kanzlerholz.
Die Corona-Krise schien zunächst nach einem harten Krisenmanager zu verlangen, der den Leuten die Angst vor Todesdramen auf dem Klinikflur wie in Bergamo nimmt. Der in jahrelangen CSU-Intrigen gestählte und auf Selbstinszenierung spezialisierte Söder bediente diese Sehnsucht. Auch bei der vorsichtig-abwartenden Merkel nimmt man in unsicheren Zeiten gerne Zuflucht. Der freundliche Herr Laschet dagegen ist ein moderierender Politik-Typ, dessen Regierungsmotto nicht zufällig „Maß und Mitte“ lautet. Er ist mehr als 20 Zentimeter kleiner als Söder, redet weniger zackig, dafür in vielen Nebensätzen und mit rheinischem Zungenschlag. Wenn Laschet etwas wichtig ist, rudert er beim Sprechen gelegentlich mit den Armen. Jeder spürt: Er ist kein autoritärer Typ und will auch nicht in einem autoritären Staat leben.
Laschet - zu lasch für den Notstand?
Laschet hatte zwar zu Beginn der Pandemie ebenfalls seinen Churchill-Moment, als er mit Grabesstimme in die Kameras sprach: „Es geht um Leben und Tod.“ Eigentlich aber war ihm wohl von vornherein unheimlich, wie bereitwillig die Deutschen alle Freiheiten hergaben im Namen der Virus-Bekämpfung. Berufsfreiheit, Demonstrationsrecht, Reisemöglichkeiten, Religionsausübung, Versammlungsfreiheit – es konnte alles gar nicht schnell genug eingeschränkt werden. Laschet galt als einer, der zu lasch ist für den Notstand.
Dabei ist er bloß rheinisch-katholisch geprägt, allzeit diskussionsbereit und schon wegen seiner Herkunft aus dem Aachener Drei-Länder-Eck konsequent europäisch orientiert. Kirchen und Grenzen schließen, Rechte aussetzen, soziale und wirtschaftliche Kollateralschäden hinnehmen – das überlegt sich einer wie Laschet dreimal. Kann eine demokratische Gesellschaft über Monate virologische Optimalbedingungen überhaupt aushalten?
Geschlossene Grenzen, ausgesetzte Grundrechte - das überlegt sich einer wie er dreimal
Laschet warb er als Erster für eine „Rückkehr in eine verantwortungsvolle Normalität“ und stellte sich damit gegen die konsequente Eindämmungspolitik der Kanzlerin. „Hier steht nicht Leben gegen Geld, sondern es stehen Lebenschancen gegen Lebenschancen“, rief er zunächst als einsame Stimme. Katastrophale Wirtschaftsaussichten, verschobene Operationen oder all die Belastungen für Kinder ließen sich in NRW nicht länger ignorieren. Doch der Ministerpräsident wurde als „leichtsinniger Lockdown-Lockerer“ beschimpft.
Mittlerweile kann er sich bestätigt fühlen: Alle Bundesländer sind nach und nach auf den Laschet-Kurs eingeschwenkt. Überall wurden die Kontaktbeschränkungen zurückgefahren. Kanzlerin Merkel hat resigniert den Ländern die volle Verantwortung für den künftigen Kurs der Pandemie-Bekämpfung übertragen. Selbst Söder warf sich entschlossen hinter den abgefahrenen Zug: Einen Tag vor den Beratungen von Bund und Ländern am 6. Mai verkündete er schnell noch einen „Bayern-Plan“.
Ob Laschet als Treiber der Lockerungsdebatte zu riskant gespielt hat, muss sich erst noch zeigen: Kommt es zu einer zweiten Infektionswelle mit vielen Toten und einem neuerlichen Lockdown, dürfte vor allem er unter Rechtfertigungsdruck geraten.
Schon jetzt zeigt die Pandemie alle Stärken und Schwächen Laschets wie unter einem Brennglas. Sein klarer Wertekompass zeigt ihm meist die richtige Richtung an, doch stolpert er manchmal beim Losmarschieren über die eigenen Beine. Seine gedankliche Unabhängigkeit ist im wetterwendischen Politikbetrieb ziemlich selten. Doch kriegt das draußen jemand mit?
Immer wieder leistet er sich hohe Abzüge in der B-Note
Die Kritik an Laschets Werben um einen Exit-Plan ist nahezu verstummt. Aus der NRW-Wirtschaft heißt es dankbar, dass es ohne Laschet gar keine Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Mittel in der Corona-Krise gegeben hätte. Kita-Eltern, die nach zwei Monaten Homeoffice schier wahnsinnig werden, hätten sich sogar mehr Tempo gewünscht. Zu Laschets plausiblen Einfällen gehörte es auch, den ersten Corona-Hotspot Heinsberg von renommierten Wissenschaftlern erforschen zu lassen und einen „Experten-Rat“ aus möglichst vielen Fakultäten in die gesellschaftliche Diskussion einzubeziehen.
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Doch immer wieder verschafft sich Laschet Abzüge in der B-Note – wie ein Eiskunstläufer, der den schwierigen Axel steht und dann dem Preisgericht die Zunge rausstreckt. Die Heinsberg-Studie etwa wurde durch zwielichtiges PR-Geklingel in Misskredit gebracht. Die von Eltern ersehnte Schulöffnung verärgerte sämtliche Lehrerverbände durch eine katastrophale Kommunikation. Schludrig wurde ein „Pandemiegesetz“ zusammengeschustert, das bei den eigenen Landtagsfraktionen durchfiel. Bei den Bund-Länder-Beratungen gelang NRW das Kunststück, ein kluges Konzept für Kontaktbeschränkungen statt harter Ausgehsperren ziemlich ungeschickt vorzulegen.
Bei "Anne Will" tobt Laschet durch den Talkshow-Sessel
Hinzu kommt Laschets Unlust an der professionellen Außendarstellung. Im Uniklinikum Aachen trägt er den Mundschutz unter der Nase, obwohl ein Dutzend Kameras ihn auf Schritt und Tritt begleiten. Bei „Anne Will“ tobt er zur besten Sendezeit durch den Talkshow-Sessel. Seine berechtigten Zweifel an wechselnden virologischen Parametern trägt er so ungestüm vor, dass sie als Frontalangriff auf die weltweit geachtete deutsche Wissenschaft missverstanden werden.
Am Ende der Corona-Pandemie wird Armin Laschet trotz allem wohl sagen können, dass er von seinem Kurs überzeugt war und ihn in unruhiger See gehalten hat. Das ist in der Politik nicht wenig.
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