Düsseldorf. Die “Heinsberg-Studie“ zu Corona macht Hoffnung auf eine Lockerung der Kontaktverbote. Doch Methodik und PR werfen plötzlich Fragen auf.
Als Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Donnerstagmorgen in der Düsseldorfer Staatskanzlei die mit Spannung erwartete „Heinsberg-Studie“ vorstellt, begnügt er sich über weite Strecken mit der Rolle des aufmerksamen Zuhörers. Das Rednerpult überlässt er drei Professoren der Universität Bonn: Hendrik Streeck, zurzeit medial stark präsenter Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit. Und Leibnizpreisträger Gunther Hartmann, Direktor des Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie. Die Botschaft: Hier spricht die Wissenschaft, die Politik nimmt die Erkenntnisse demütig entgegen.
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Tatsächlich aber ist die „Heinsberg-Studie“ ein zentrales Element in Laschets Corona-Krisenmanagement. Der Ministerpräsident gehört zu den wenigen Spitzenpolitikern, die von Beginn an auf eine „Verhältnismäßigkeit“ der Kontaktverbote gepocht hat. Er drängelt bei Lockerungen der Maßnahmen und will kommenden Mittwoch beim Krisengipfel mit der Kanzlerin den Weg in eine „wachsame, verantwortungsvolle Normalität“ ebnen.
Wissenschaftler bezweifeln die Aussagekraft der "Heinsberg-Studie"
Die eilig zusammengeschusterten zweiseitigen „Zwischenergebnisse“ aus Bonn sollen den Ministerpräsidenten erkennbar vor den Ostertagen argumentativ munitionieren. Das Land hat die „Covid 19 Case-Cluster-Study“ mit gut 65.000 Euro finanziert. Die ersten Erkenntnisse sollen hoffnungsfroh stimmen. Streecks Team hat in der Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg herausgefunden, dass dort bereits rund 15 Prozent aller Bürger mit dem Corona-Virus infiziert waren. Viele wussten davon nichts oder hatten nur leichte Symptome. Damit sinkt die Todesrate bezogen auf diese neue Gesamtzahl der Infizierten auf 0,37 Prozent. Jeder siebte Gangelter wäre demnach bereits immun gegen das Virus. „Die 15 Prozent liegen nicht so weit weg von den 60 Prozent, die wir brauchen für das Erreichen einer Herdenimmunität“, erklärt Professor Hartmann. Wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Corona-Infektion überstehen und immun sind, kann sich das Virus nicht mehr weiterverbreiten. Nun müsse errechnet werden, was es „an Geld und an Leid kosten würde, zu dieser Herdenimmunität zu kommen“, so Hartmann.
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Die bundesweite Corona-Todesrate, die bisher nur anhand der bestätigten Infektionen errechnet wird, liegt mit 1,98 Prozent fünfmal höher. Laschet fasst zusammen: „Jede Nachrichtensendung beginnt damit, wie die Infektionszahl hochgegangen ist und dann illustriert man das mit einer Kurve. Eigentlich eine fast irrelevante Frage für das, was wir zu entscheiden haben.“
Professor Exner sieht die Basis für „Phase zwei“: Unter besonderen Hygiene-Bedingungen und Abstandsregeln könnten Maßnahmen der strengen Quarantäne kontrolliert zurückgenommen werden. Auch der Schul- und Kita-Betrieb wäre – bei besonderen Schutzmaßnahmen für Alte und Vorerkrankte – wieder möglich. „Die Wissenschaftler sagen uns nicht: Macht es so oder so, sondern sie geben uns einen weiteren Baustein an die Hand“, sagt Laschet und folgert: „Mich überzeugt das Argument, dass die Deutschen in den letzten Wochen gelernt haben, worauf es ankommt und die Kontaktverbote und die Distanz und den Abstand und die Hygieneregeln einhalten.“
SPD-Opposition hinterfragt PR-Strategie zu der vom Land finanzierten Studie
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité meldet dagegen Zweifel an der Bonner Studie und der angeblich bereits erreichten hohen Immunität an. Möglicherweise könnten die Antikörpertests auch auf harmlosere andere Erkältungsviren angeschlagen haben. Auch der Braunschweiger Infektionsepidemologe Gérard Krause ist skeptisch. Von einem „Gelehrtenstreit“ ist bereits die Rede.
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Die SPD-Opposition in Düsseldorf hinterfragt derweil den PR-Wirbel um die „Heinsberg-Protokolle“. Streeck hat offenbar recht freihändig die Social-Media-Vermarktung der Studie an die Agentur „Storymachine“ vergeben, an der Event-Manager Michael Mronz beteiligt ist. Mronz, den er schon lange kenne, habe Unterstützung angeboten, sagt Streeck der „Zeit“. Öffentliche Gelder seien nicht geflossen, versichert NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf SPD-Anfrage. Die SPD-Abgeordnete Sarah Philipp kritisiert: „Hier fließen öffentliche Gelder in ein öffentliches Projekt. Da kann es keine Privatentscheidung von Professor Streeck und Herrn Mronz sein, wer die Öffentlichkeitsarbeit und PR-Vermarktung dazu macht. “