Düsseldorf. Medizinisches Personal zwangsverpflichten, Material beschlagnahmen? Wie die Pläne der Landesregierung für den Katastrophenfall bewertet werden.
Ist es ein „Notstandsgesetz“, das in der Corona-Krise Grundrechte aushebelt? Oder doch ein wichtiger Instrumentenkasten, damit der Staat im Katastrophenfall handlungsfähig bleibt? An diesem Montag kommt es im Düsseldorfer Landtag zur großen Expertenanhörung über das umstrittene „Epidemiegesetz“ der schwarz-gelben Landesregierung.
Eigentlich wollte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Regelungen bereits vergangene Woche im Eilverfahren durchs Parlament bringen. Weil SPD, Grüne und zahlreiche Experten jedoch erhebliche Verfassungsbedenken vorbrachten, soll das Gesetz in dieser Woche noch einmal ausführlich beraten werden.
„Epidemie-Gesetz“: Opposition hatte große Bedenken
Vor allem zwei Vorhaben sind umstritten: Die Landesregierung will sich bei einer weiteren Zuspitzung der Corona-Lage den Zugriff auf medizinisches Material und Personal sichern. Wann genau aber dieser Notstand ausgerufen wird und wie lange er dauert, ist nicht definiert. Die am Wochenende bereits von zahlreichen Sachverständigen eingereichten Stellungnahmen deuten eher darauf hin, dass Laschet wohl nachbessern muss.
FDP-Urgestein Gerhart Baum etwa forderte, dass die „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ als Begründung für den Notstand nur befristet für maximal zwei Monate festgestellt werden dürfe. Eine Verlängerung für weitere zwei Monate sei denkbar – der Landtag müsse jedoch immer das letzte Wort haben. Die Landesregierung solle hingegen ihre Pläne zur Zwangsverpflichtung von medizinischem Personal und zur Beschlagnahmung von Material komplett beerdigen. Dies würde „ein ganz falsches Signal“ an potenziell Betroffene richten.
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NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte zuletzt noch einmal ausdrücklich auf diese Befugnisse gepocht. Wenn jede helfende Hand benötigt werde, sei es zumutbar, einen Arzt oder ausgebildeten Pfleger dorthin zu schicken, wo es um Leben und Tode gehe. Beim Koalitionspartner FDP regte sich dagegen intern ebenfalls erheblicher Widerstand.
"In den Arztpraxen fehlt es nicht an Motivation, sondern an Schutzausrüstung"
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein wandte sich gegen Beschlagnahmungen: „In den Arztpraxen mangelt es nicht an Motivation, sondern immer noch an Schutzausrüstung“, heißt in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetz. Die Ärzte warnten das Land davor, bei Herstellern oder Lieferanten Schutzmaterialien zu beschlagnahmen, „die anschließend in unseren Versorgungsstrukturen fehlen“.
Selbst im schlimmsten Pandemiefall können normale Hausarztpraxen schließlich nicht einfach ihre Arbeit einstellen. Eine Zwangsverpflichtung von Personal hält die Vereinigung „für äußerst kontraproduktiv“. Aktuell gebe bis hin zu Ärzten im Ruhestand großes Engagement, bei der Bewältigung der Corona-Krise mitzuhelfen.
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Auch der Pflegerat NRW lehnt die von der Landesregierung gewünschte Möglichkeit zur Einsatzverpflichtung ab: Dies sein ein falsches Signal und würde das Gewinnen von Freiwilligen für Einsätze in der Versorgung „deutlich erschweren“.
Ob die Zwangsverpflichtung von Ärzten und Pflegern im Notstand ein glatter Verfassungsbruch wäre, bleibt unklar. Ministerpräsident Laschet hatte als Beispiel einen Mediziner aus der Schönheitschirurgie angeführt, den das Land im Katastrophenfall auch auf eine Corona-Station beordern könne. Zudem war von Ärzten und ausgebildeten Pflegekräften in administrativen Funktionen die Rede, die der Staat zum Dienst am Krankenbett heranziehen könne.
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Die Jura-Professorin Charlotte Kreuter-Kichhof von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf legte dar, dass es sich zwar um einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Berufsfreiheit handele. Da Ärzte und Pflegekräfte jedoch gemäß ihrer Ausbildung verpflichtet würden, sei dies womöglich mit einer staatlichen Indienstnahme etwa beim ärztlichen Notfalldienst oder bei Bränden vergleichbar. Professor Hinnerk Wißmann von der Universität Münster zeigte sich indes skeptisch, „da eine umfassende Heranziehung medizinisch geeigneten Personals nicht in traditionsbildender Weise bekannt ist“.
Zwangsverpflichtung von Ärzten und Pflegern – „NRW ist nicht Ungarn“
Der bekannte Staatsrechtler Christoph Gusy von der Universität Bielefeld riet bei den Regelungen zu Befristungen und Überprüfungen, nahm aber die Landesregierung auch in Schutz: „Nordrhein-Westfalen ist nicht Ungarn.“ Die Zwangsverpflichtung von Personal müsse im Gesetzestext als letztes Mittel deutlicher gemacht werden: „Die Zwangsbefugnisse werden daher eher als Drohkulisse fungieren, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden.“
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Die Krankenhausgesellschaft NRW forderte eine Klarstellung, dass die Beschlagnahmung von medizinischem Material nicht bei den Kliniken erfolgen dürfe und diese weiterhin über ihre Lagerbestände uneingeschränkt verfügen könnten. Bei der Zwangsverpflichtung von Personal will die Krankenhausgesellschaft die Voraussetzungen schärfen: Nur beim „drohenden Zusammenbruch“ des Gesundheitssystems und mit Zustimmung des Landtags dürfe dieses letzte Mittel genutzt werden. „Die umfassenden erweiterten Handlungsbefugnisse können aber nicht als 'Blanko-Scheck für die Regierung' ausgestellt werden.“