Aachen. Die meisten Intensivbetten stehen nicht in hochspezialisierten Unikliniken, sondern in kleineren Krankenhäusern. Warum das kein Problem mehr ist.

In der Corona-Krise bleibt keine Zeit für „Gummistiefel-Bilder“. So nennt man seit dem Jahrhundert-Hochwasser in Ostdeutschland 2002 mit einem gut ausgeleuchteten Bundeskanzler in Fluthelfer-Montur etwas zynisch die gekonnte politische Inszenierung im Auge der Katastrophe. Als NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Montagmitttag die oberen Stockwerke der Aachener Universitätsklinik betritt, wirkt er eher wie jemand, der Ärzte und Pfleger bloß nicht bei der Arbeit stören will. Bedächtig schaut er über die Schulter. Den Mundschutz, der hier Pflicht ist, trägt er trotz der vielen anwesenden Kameras zunächst wenig fotogen unter der Nase, weil sonst immer die Brille beschlägt.

Laschet ist gekommen, um offiziell das „virtuelle Krankenhaus“ zu starten, das in der Corona-Pandemie Leben retten kann. Das Konzept: 200 kleinere Krankenhäuser in NRW werden per Telemedizin von den großen Universitätskliniken beraten. Was bereits seit 2017 von Intensivmedizinern in Aachen und Münster erprobt wurde, musste nun in der Corona-Krise ganz schnell ausgebaut werden. Eine eigentlich ab diesem Frühjahr geplante „Pilotphase“ wurde übersprungen.

So lässt sich jedes Kreiskrankenhaus auf Universitäts-Niveau heben

In einem Raum der Aachener Uniklinik sitzen Intensivmediziner wie in einem Großraumbüro an Bildschirmen und bekommen dort eine Live-Übertragung vom Krankenbett und die Patientenakte eingespielt. Die Kollegen aus kleineren Krankenhäusern sind zugeschaltet. Man diskutiert die Behandlung, über die Mikrofone sind Geräusche der Apparatemedizin bis nach Aachen zu hören.

Als Laschet sich die digitale Zusammenarbeit erklären lässt, kommt der leitende Oberarzt aus Düren gleich zur Sache. Es ist nicht die Zeit der Schauveranstaltungen. Ein Corona-Patient ist in Düren bereits elf Tage beatmet worden. Fortschritte sind endlich erkennbar. Nun will man sich an die Extubation heranwagen, die Entfernung des Beatmungsschlauchs. „Wie sind Ihre Erfahrungen?“, fragt der Arzt aus Düren. Da Laschet und ein Journalisten-Pulk noch im Raum stehen, antwortet einer der Aachener Spezialisten: „Ich rufe Sie gleich noch mal zurück.“

Viele der schwer erkrankten Corona-Patienten im Land müssten eigentlich in Unikliniken behandelt werden. „Das können wir im Moment aber nicht machen. Wir brauchen jedes Beatmungsgerät und jeden Intensivplatz“, erklärt Prof. Gernot Marx, der Klinikdirektor für Operative Intensivmedizin. Er rechnet vor: Von den 5500 Intensivplätzen in NRW seien etwa 3000 in „Häusern der Grund- und Regelversorgung“, also nicht in Universitätskliniken mit internationaler Spitzenmedizin. „Gemeinsam können wir die Kollegen mit unserer Expertise unterstützen und so die Patienten optimal auch in kleineren Häusern behandeln. Damit sind wir sehr gut vorbereitet, um möglichst viele Menschenleben retten zu können“, so Marx.

Wann kommt die große Welle der Corona-Patienten in NRW-Kliniken an?

Laschet lässt sich erklären, wie mit einem einfachen Laptop praktisch jedes Kreiskrankenhaus im ländlichen Raum auf universitäres Niveau kommt. „Wir können den Patienten nicht anfassen, haben aber ansonsten das komplette Bild, wie wir es auch auf der Station haben“, erläutert Marx. Dass NRW bei der Telemedizin schon vor der Corona-Pandemie bundesweiter Vorreiter war, nennt er „einen glücklichen Zufall für das Land“.

Der Beratungsbedarf kleiner Krankenhäuser sei wirklich groß, man stehe ihnen Tag und Nacht zur Seite. Die Uniklinik Aachen hat selbst bereits 30 schwer am Covid 19-Virus erkrankte Patienten behandelt und gilt als bundesweit führend. „Die vielen Dinge, die wir schon gelernt haben, können wir den Kollegen sehr schnell mitteilen“, sagt Marx. Bestimmte Covid 19-Patienten entwickelten sehr rasch ein Lungenversagen. „Das ist ein sehr schweres Krankheitsbild, was man mit sehr vielen Maßnahmen schnell therapieren muss.“

Noch ist Marx „etwas überrascht“, dass die prognostizierten Kapazitätsengpässe in den NRW-Kliniken noch nicht eingetreten seien. „Bei uns müsste eigentlich jetzt der Bedarf an Intensivmedizin in den nächsten Tagen steigen. So war es in Italien, so war es in Spanien, so ist es in Frankreich und den USA.“ Trotzdem macht der Mediziner Mut: „Wir sind, glaube ich, in Deutschland besonders gut gewappnet.“

Auch Laschet scheint nach diesem Montag im Aachener Klinikum zumindest nicht noch pessimistischer in die Restwoche zu gehen: „Wenn man das erlebt, macht das Hoffnung, dass wir diese Krise gemeinsam bewältigen können.“