Düsseldorf. “Junge werden rebellieren“: Warum Düsseldorfs Stadtoberhaupt Geisel den „Wettbewerb“ um immer härtere Maßnahmen nicht mehr mitmachen will.
Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hat vor einem Generationenkonflikt in der Corona-Krise gewarnt und eine Lockerung der Kontaktverbote angemahnt. „Ich befürchte, lange wird unser Land einen nahezu vollständigen Shutdown nicht überstehen“, schrieb Geisel am Mittwoch in einem Gastbeitrag für die „Rheinische Post“.
Der Chef der NRW-Landeshauptstadt wies auf die enormen wirtschaftlichen Folgen und die offenbar kalkulierbaren Gefahren des Corona-Virus hin: „Es geht nicht, dass wir auf unabsehbare Zeit das gesamte öffentliche Leben stilllegen und die Bevölkerung in Quarantäne nehmen. Wir müssen gezielt diejenigen schützen, für die eine Infektion mit dem Virus gefährlich ist“, so Geisel weiter.
Klage über einen Wettstreit um die härtesten Maßnahmen
Der SPD-Politiker sieht durch die aktuell drakonischen Maßnahmen von Bund und Land zur Eindämmung des Corona-Virus einen Generationenkonflikt heraufziehen: „Je länger wir Schulen und Universitäten geschlossen halten, je mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze der Pandemiebekämpfung zum Opfer fallen und je dramatischer die hierdurch ausgelösten Hypotheken auf die Zukunft ansteigen, desto mehr werden junge Menschen – so ist es zu befürchten – dagegen rebellieren, dass ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt wird zur Abwendung einer Gefahr, die sie 'eigentlich' gar nicht betrifft.“
Geisel zielt damit auf die Vermutung vieler Virologen, dass dass Corona-Virus vornehmlich für ältere und vorerkrankte Menschen gefährlich werden kann, bei Jüngeren indes Infektionen meist nur einen milden Verlauf nehmen oder ohne Symptome bleiben. Das Düsseldorfer Stadtoberhaupt ist damit der erste bekanntere Oberbürgermeister, der den „Wettstreit“ um immer drastischere Maßnahmen hinterfragt und sich stattdessen für einen gezielten Schutz von Risikogruppen ausspricht. „Solidarisch ist es nach meiner Überzeugung“, so Geisel, „die Risikogruppe der Älteren mit Vorerkrankungen ganz gezielt vor einer lebensgefährlichen Infektion mit dem Virus zu schützen.“
Widerspruch aus der Landesregierung: Politiker sollten jetzt geduldig sein
Aus der Landesregierung erntete Geisel Widerspruch: „Wir haben die Maßnahmen erst vor drei Tagen eingeführt, und die Wirkung ist noch nicht abschließend einzuschätzen. Politiker sollten jetzt geduldig sein und erst einmal die Wirkung der Maßnahmen abwarten", sagte NRW-Verbraucherministerin Ursula Heinen-Esser (CDU).
Der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann nahm Geisel gegen Kritik in Schutz. Es sei wichtig, schon jetzt den Tag nach den derzeit drastischen Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in den Blick zu nehmen. „Es ist richtig, jetzt möglichst konsequent zu handeln, um die Durststrecke kurz zu halten. Man kann nicht die Wirtschaft gegen die Menschen aufrechnen, und das macht Geisel auch nicht“, sagte Hartmann. Der Düsseldorfer OB stelle die Maßnahmen nicht pauschal infrage, „sondern weist darauf hin, dass es wichtig ist, die Durststrecke möglichst zu verkürzen“.
Aber auch in der SPD ist Geisels Vorstoß umstritten. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) mahnte zur Geduld: „Vielleicht sollten wir jetzt erst einmal die Wirksamkeit der Maßnahmen abwarten. Experten gehen von acht bis zehn Tagen aus. Da sind wir aber noch nicht angekommen. Jetzt schon die gerade eingeleiteten Maßnahmen in Frage zu stellen halte ich nicht für angezeigt.“
Auch Laschet weiß: Wer schließt, muss auch irgendwann wieder öffnen
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der sich Kritik an seinem angeblich zögerlichen Krisenmanagement gefallen lassen muss, hatte zuletzt davor gewarnt, die Dinge nicht ausreichend vom Ende her zu denken. Wer Geschäfte und Einrichtungen jetzt mit großer Absolutheit schließe, müsse "irgendwann auch wieder öffnen", so Laschet. Bislang enden alle Kontaktverbote in NRW mit dem Ende der Osterferien am 20. April. Wie es danach weitergehen soll, weiß niemand. Fieberhaft wird hinter den Kulissen an Modellen gearbeitet, einen Teil des öffentlichen Lebens dann wieder anlaufen zu lassen, ohne die Corona-Infektionskurve sofort wieder steil nach oben schnellen zu lassen. Ob ein solcher Stufenplan sinnvoll und für die Bürger verständlich umgesetzt werden kann, scheint noch offen zu sein.
Die Experten gehen davon aus, dass sich über die nächsten Monate bis zu zwei Drittel aller Menschen in Deutschland mit dem Corona-Virus infizieren könnten, sofern nicht vorher ein Impfstoff oder eine wirksame Therapie gefunden werden. Ziel aller Anstrengungen ist es, das Aufkommen der schweren Krankheitsverläufe so zu verlangsamen, dass die Krankenhäuser nicht - wie in Italien - kollabieren werden.