Düsseldorf. In einer denkwürdigen Sitzung des Landtags wird der größte Rettungsschirm der NRW-Geschichte beschlossen - und mit vielen Ritualen gebrochen.
An „Plenartagen“ des Düsseldorfer Landtags, wenn sich die 199 Abgeordneten zur monatlichen Vollversammlung treffen, sind die Flure des Rundbaus am Rhein normalerweise ein riesiger politischer Marktplatz. Minister, Ministerialbeamte, Parlamentarier, Mitarbeiter, Lobbyisten und Journalisten wuseln hier gewöhnlich umher. An diesen Dienstagmorgen dagegen: fast mehr Desinfektionsmittel-Spender als Politiker. Die Gänge sind leer, Besucher nicht zugelassen. Man grüßt mit Sicherheitsabstand.
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Die Landesregierung hat eine Corona-Sondersitzung beantragt, die in die Geschichte eingehen wird. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass nur ein Bruchteil der Abgeordneten kommen muss. Man will das Infektionsrisiko gering halten und Vorbild sein. Auch die Regierungsmannschaft von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sitzt weit verstreut. Staatssekretäre nehmen dort Platz, wo normalerweise Saaldiener sitzen. Aber was ist noch normal?
Auch die Minister halten diesmal Sicherheitsabstand
Der Landtag peitscht an nur einem Tag einen Nachtragshaushalt mit einem „Sondervermögen“ von 25 Milliarden Euro durch alle Gremien. Eine gewaltige Summe zur Unterstützung der Wirtschaft in Not. Der gesamte bisherige Landeshaushalt, aus dem jeder Lehrer, jeder Polizist und jedes Förderprogramm bezahlt wird, betrug nur rund 80 Milliarden Euro. Auf Pump will das Land möglichst jedes Unternehmen vor der Insolvenz retten. Diese mutige Zielvorgabe hat Laschet ausgegeben. Wer wann welche Unterstützung erfahren soll, wird gerade im Eilverfahren abgestimmt. Die Landesregierung versucht die Flut an Anfragen über eine eigene Homepage (land.nrw/corona.de) zu kanalisieren.
Am Dienstag wird der Gemeinsinn beschworen. „Unsere Demokratie ist keine Schönwetter-Demokratie“, sagt Landtagspräsident André Kuper. Die Stimmung ist fast bedrückend ruhig, man vermisst die üblichen Zwischenrufe und Wortduelle. „Surreal“ nennt die Atmosphäre der CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen.
Applaus für die Alltagshelden
„So oft wir auch streiten: Wenn Krise ist, stehen Demokraten zusammen“, sagt Laschet. Nach 25 Minuten Redezeit klatscht der Regierungschef plötzlich am Rednerpult einen Applaus an für die Alltagshelden der Corona-Krise. Das gesamte Parlament inklusive Regierungsbank erhebt sich und stimmt ein. Das gab es noch nie.
Der Ministerpräsident erklärt noch einmal seinen bisherigen Kurs im Corona-Kampf. Er wehrt sich gegen den unausgesprochenen Vorwurf, zögerlich zu agieren: „Für uns gilt nicht die Losung: Was sind die härtesten Maßnahmen, sondern was sind die besten Maßnahmen, um Menschen zu schützen.“ Der liberale Staat müsse zwar schnell handeln, „aber er muss sich auch Zeit zum Nachdenken nehmen“.
Ein kleiner Scherz in schweren Zeiten wirkt fast befreiend
SPD und Grüne mahnen an, beim Schutzschirm nicht die sozialen Dienste, nicht die beitragszahlenden Kita-Eltern, nicht Kommunen in Gewerbesteuer-Not oder Kurzarbeiter mit Mietrückständen zu vergessen. Außerdem macht Oppositionsführer Thomas Kutschaty deutlich, dass der Landtag selbst in der Krise „seinen Verfassungsauftrag“ erfüllen müsse und die gigantischen Corona-Landeshilfen parlamentarischer Kontrolle unterliegen.
Insgesamt ist der Ton der bedrückenden Lage angemessen. Man wirkt parteiübergreifend fast dankbar für einen Kalauer von CDU-Mann Löttgen: „Ich bin sicher, wir müssen und werden uns verändern. Nicht nur äußerlich, bis die Frisöre wieder öffnen.“ Man hat ja sonst nichts zu lachen.