Düsseldorf. Hat NRW die Klinken kaputtgespart? In der Not der Coronakrise wundern sich viele, wie anfällig das Gesundheitssystem tatsächlich ist.
NRW steht am Montag wegen der Coronakrise vor einer gewaltigen Herausforderung. Schulen und Kitas sind geschlossen, immer mehr Kommunen sagen auch kleine Veranstaltungen ab, die Stadt Essen schließt Bars und Kneipen, und Kirchen raten zum Verzicht auf Gottesdienste. Das Ziel all dieser Maßnahmen: Praxen und Kliniken vor dem Kollaps zu bewahren. Angesichts der zu erwartenden Belastungen für das Gesundheitssystem verlangen immer mehr Ärzte ein Ende des Sparkurses in der Medizin.
„Die Durchökonomisierung der Krankenhäuser hat dazu geführt, dass die Reservekapazitäten auf das Mindestmaß zurückgefahren worden sind“, sagte Michael Wessels, Professor für Gesundheitsökonomie an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, dieser Redaktion. Eine neue Krankenhausplanung müsse daher unbedingt auch „den Notfall“ berücksichtigen.
"Der Markt allein kann es nicht richten"
Ähnlich äußerte sich der Chef der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Johannes Albert Gehle: „Die Politik lernt jetzt, was wir Ärzte schon lange sagen: Medizinische Versorgung ist Daseinsfürsorge. Und die kann man nicht allein nach den Regeln des Marktes steuern“, so Gehle.
NRW müsse neu über die Krankenhausreform in NRW nachdenken. „Wir brauchen eine flächendeckende Grundversorgung für alle Menschen. Und der Bund muss die Voraussetzungen schaffen, dass Kliniken nicht ständig am Rande der Existenz wirtschaften. Die Krankenhausfinanzierung gehört auf den Prüfstand“, sagte Gehle, der auch Landesvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist.
Auch Kliniken müssen Gehälter zahlen
Jetzt, in der beginnenden Krise, benötigten Kliniken und Arztpraxen sogar unmittelbar Finanzhilfen durch den Bund. „Die müssen schon in den nächsten Tagen festgelegt werden, damit nicht Einrichtungen, die unter wirtschaftlichem Druck stehen, schließen müssen.“ Mitarbeitergehälter müssten weiter bezahlt, Medikamente weiter eingekauft werden können.
Der Internist fordert darüber hinaus, in NRW möglichst viele Abstrichzentren und Fahrdienste einzurichten, die Corona-Tests anbieten. Gelsenkirchen sei mit dem dortigen Test-Fahrdienst ein gutes Beispiel. „Die Mitarbeiter fahren zu einem Verdachtsfall, der Bürger macht einen Selbstabstrich und bleibt so lange in häuslicher Quarantäne, bis der Befund vorliegt.“ Das sei vielerorts machbar und würde vielen Menschen Sicherheit geben.
Jetzt Beatmungsgeräte nachkaufen
Der Ärztekammer-Präsident rät auch dringend zum Nachkauf von Beatmungsgeräten und anderen Apparaten für die Intensivmedizin: „Wir brauchen einen zentralen Gerätepool in NRW“., sagte Gehle.
Zwei Tipps hat Gehle für die Bürger: Erstens: Die normale Grippe nicht vernachlässigen: "Ich habe als Intensivmediziner in den letzten Wochen viele Grippe-Patienten behandelt. Wenn Menschen Grippe-Symptome haben und nach einem Abstrich erfahren, dass sie nicht Corona haben, sollten sie dennoch zum Arzt gehen. Und sie sollten sich unbedingt im nächsten Herbst gegen Grippe impfen lassen."