Ruhrgebiet. Laut den Studierendenwerken NRW ist die Zahl der Bafög-Anträge so niedrig wie nie. Dabei wird das Studium in NRW immer teurer. Woran liegt das?

Lehramt, Informatik oder doch lieber Medizin? Manchmal noch entscheidender als das Studienfach: die Frage der Finanzierung. Gerade mit Blick auf den Sommer, in dem das Bewerbungsverfahren für das kommende Wintersemester endet, dürfte in vielen Familien bald das Rechnen losgehen. Ob ein Studium aufgenommen werden kann, hängt meist von der finanziellen Situation des Elternhauses ab. Die familiären Finanzen entscheiden darüber, ob die Eltern für das Studium aufkommen können oder ob ein Darlehen gemäß des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög) infrage kommt.

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Aus der Leistungsbilanz der Studierendenwerke Nordrhein-Westfalen 2018 geht hervor, dass zuletzt nur noch 17 Prozent der Studierenden in NRW überhaupt einen Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt haben – ein Minusrekord. Mit rund 170.000 Geförderten ist die Anzahl an Bafög-Beziehenden auf einem ähnlichen Tiefstand wie vor über zehn Jahren. Bemerkenswert: Gleichzeitig steigen die Kosten für ein Studium kontinuierlich an, ebenso die Zahl der Studierenden.

Mehr als 5.000 Euro Kosten pro Semester

Sechs Semester, so lange dauert der Bachelor in Regelstudienzeit. Vier Semester sind es im Master. In dieser Zeit fallen neben Lebenshaltungskosten auch studiengebundene Ausgaben an. Nach beispielhafter Kostenaufstellung anhand von Daten der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (siehe Bild) kommen so 882 Euro im Monat zustande. Zugegebenermaßen: Nicht jeder Studierende verfügt über ein Auto und manche mögen deutlich mehr als 62 Euro im Monat für ihre Freizeit ausgeben, aber es ist ein Richtwert.

Laut Beispielrechnung kostet ein Semester Studium in NRW 5.292 Euro.
Laut Beispielrechnung kostet ein Semester Studium in NRW 5.292 Euro. © funkegrafik nrw | Miriam Konopka

Auf das Semester gerechnet kommt so ein Betrag von 5.292 Euro zusammen, ein Bachelor in Regelstudienzeit kostet demnach 31.752 Euro. Zum Vergleich: Laut den Studierendenwerken NRW liegt die monatliche Bafög-Leistung im Landesschnitt bei 467 Euro. Die Rechnung geht nur mit einem Minijob auf – dem Maximum an Verdienstmöglichkeit, das Bafög-Empfängern zusteht. Alles über den Freibetrag hinaus sorgt für Abzüge beim Studiendarlehen.

Bafög hinkt hinter aktuellen Entwicklungen hinterher

Ein Problem, das die Studierendenwerke schon lange beklagen. „Das Bafög wird nicht regelmäßig angepasst und hinkt deshalb hinterher“, erklärt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. „Eine Reform pro Legislatur reicht nicht.“ Stattdessen fordert er regelmäßige Anpassungen, sonst „fallen mehrere Generationen von Studierenden durchs Raster“. Seit August 2019 greift das 26. Bafög-Änderungsgesetz: So stieg etwa die Wohnpauschale von 250 auf 325 Euro an.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet Grob: „In den wenigsten Universitätsstädten bekommt man für 325 Euro ein Zimmer, geschweige denn eine ganze Wohnung.“ Die Schattenseiten der Konjunktur seien ein Schwächeausweis des Bafög, zumal die Ausbildungsförderung „das Schlüsselinstrument ist, um ein Studium attraktiv zu machen“. Auch wenn es weltfremd wirke: Grob befürchtet eine Umkehr des aktuellen Trends zum Studium hin zur Ausbildung, wenn es nicht bald tiefgreifende Veränderungen gibt.

26. Bafög-Änderungsgesetz

Die aktuelle Bafög-Reform ist seit August 2019 gültig. Damit soll den um 3,4 Prozent gestiegenen Lebenshaltungskosten entgegengewirkt werden. Die wichtigsten Veränderungen:

Der Wohnzuschlag wurde um 30 Prozent von 250 Euro auf 325 Euro angehoben.

Der Förderungshöchstsatz steigt um mehr als 17 Prozent von 735 Euro auf 861 Euro.

Die Bedarfssätze werden insgesamt um sieben Prozent angehoben. Um fünf Prozent 2019 und nochmals um zwei Prozent 2020. Das hebt die individuellen Förderungsbeträge an.

Die Einkommensfreibeträge werden schrittweise um über 16 Prozent erhöht. Um sieben Prozent im ersten Schritt 2019, um drei Prozent 2020 und 2021 nochmals um sechs Prozent.

Der Freibetrag an anzurechnendem Vermögen wird von 7.500 Euro auf 8.200 Euro angehoben.

Für 2019 ist ein erneuter Negativ-Rekord zu erwarten

Die letzte umfassende Bafög-Reform war 2009. Sie wirkte – zunächst: Die Zahlen stiegen an, erreichten 2013 in NRW ein Hoch von 130.387 Anträgen (216.327 Geförderte). Seitdem ging es bergab, bis hin zum historischen Tief von 103.444 Anträgen im Jahr 2018. Tendenz sinkend, vermutet Olaf Kroll von der Arbeitsgemeinschaft Studierendenwerke NRW: „2019 schätzen wir eine Förderquote von unter 16 Prozent.“ Die Gründe dafür sieht er vor allem in dem schlechten Ruf der Ausbildungsförderung. „Die Antragsstellung ist kompliziert, das schreckt viele ab“, erklärt er. Selbst der Online-Antrag sei mit dem Einreichen eines schriftlichen Vordrucks verbunden. „Digitalisierung geht anders. Junge Leute sind es gewohnt, alles in wenigen Klicks erledigen zu können.“ Die Befugnis, an Verfahren und Rahmenbedingungen etwas zu ändern, haben die Studierendenwerke nicht.

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Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hingegen begründet die sinkenden Geförderten- und Antragszahlen mit „der guten wirtschaftlichen Entwicklung“. So sei es immer mehr Familien möglich, „ihren Kindern eine gute Ausbildung aus eigenen Mitteln zu ermöglichen“. Nichtsdestotrotz belasteten die steigenden Lebenshaltungskosten gerade die Familien, die bisher knapp unterhalb der Anspruchsgrenzen liegen. Langfristiges Ziel sei eine Trendumkehr. Mit dem 26. Bafög-Änderungsgesetz seien „die Weichen für eine nachhaltig verlässlich greifende Ausbildungsförderung gestellt“.